Verfassung. Art. 4, Ziff. 16. Becker. 261
aufgenommen werde oder nicht, solche Gesetze einbringen. Nein, meine
Herren, vierzehn oder fünfzehn Stimmen, je nach dem Ausfall des heutigen
Beschlusses, würden genügen, um ein die Verfassung abänderndes Gesetz zu
verbindern, und es ist gewiß die Meinung des Herrn Abgeordneten Duncker,
daß selbst unter denjenigen Staaten, welche sonst ein Schwergewicht nicht
in die Wagschale werfen, dennoch fünfzehn Stimmen sich finden werden,
wenn rerlangt wird, ein Schutzmittel der Preß= und Vereinsfreiheit aufrecht
zu halten, welche der überwiegenden Macht aller übrigen Regierungen wider-
steben und, gestützt auf die öffentliche Meinung, die Grundsätze der Ver-
fassung retten werden. Ich muß die Loyalität des Antrages anerkennen und
fürchte nicht, bei dem heutigen Zustande der Preßgesetze in fast allen Ein-
zelstaaten, daß der Zusatz des Herrn Abgeordneten Duncker bei den Regie-
ungen Anstoß finden werde, da er schon jetzt Gesetz aller Bundesstaaten ist.
Desbalb werde ich für den Antrag des Herrn Abgeordneten Duncker stim-
men, erkläre aber, abweichend von dem Herrn Abgeordneten Hirsch, daß, wenn
dieser Antrag nicht angenommen wird, ich dennoch die Erweiterung der Kom-
Fetenz als einen Vortschritt begrüße.
Dr. Becker (Dortmund)’'): Meine Herren, der Herr Präsident des
Bundeskanzleramts fürchtet keine Reaktion, der Herr Abgeordnete für Neu-
stetin fürchtet keine Reaktion und der Herr Abgeordnete für Meiningen
fürchtet auch keine Reaktion. Ich wollte nur, daß ich aus dieser Ueberein-
stimmung irgend eine Garantie für die Zukunft schspfen könnte; ich glaube
indessen, daß die Gründe, aus welchen diese Herren die Zukunft so rosfig auf-
fassen, wesentlich verschieden sind; ich könnte es sonst nicht verstehen, wie
gerade die Herren Abgeordneten Wagener und Lasker in diesem Punkte so
auffallend übereinstimmen.
Ich will die Gründe, weshalb mein Freund Duncker den von ihm ent-
werfenen Zusatz verlangt, nicht weiter ausführen als durch einen einfachen
Hinweis auf die Thatsache, daß in Deutschland und auch in anderen Län-
dern, wenn die Verfassungsgesetzgebung zu einem gewissen Abschluß gekommen
ist, die weitere Ausführung derselben allemal einer reaktionären Strömung
rerfallen ist. Es ist das in Deutschland am leichtesten nachweisbar an der
Geschichte des früheren Deutschen Bundes; und ich will hier das Geständniß
nicht zurückhalten, daß ich fürchte, der künftige Bundesrath werde sehr viel
Tchnlichkeit mit der Versammlung bekommen, die bis zum Jahre 1866 zu
Frankfurt a. M. in der Eschenheimer Gasse getagt hat. (Hört! hört!) Ich
wünsche also, die Preßfreiheit und d §s Vereinswesen der Einwirkung des
Zundesrathes möglichst zu entziehen. Die öffentliche Meinung wird aller-
dings ein Schutzmittel gegen die Versuche der Reaktion sein, aber doch nur
bis zu einem gewissen Grade. Die öffentliche Meinung hat uns nicht ein-
65) St. B. S. 120 l. g. u.