Verfassung. Art. 78. Wehreupfennig. 285
zurückzreifen, d. h. sie kann nur geschehen durch eine Erneuerung des
Grundvertrages unter Einstimmigkeit aller Kontrahenten. Das ist seine
Anficht, wie wir ja durch wiederholte Ausführungen wissen. Allein in
den vier Jahren, die der Norddeutsche Bund durchgemacht hat, ist diese
seine Ansicht nicht allein durch andere subjective Ansichten anderer Mit-
glieder bestritten, sondern sie ist thatsächlich widerlegt durch das Verfahren
der Bundesfaktoren selbst — ich erinnere z. B. an den Bundes-Ober-
handelsgerichtshof — sie ist in keiner Weise bestätigt, weder von dem
Bundesrathe, noch von der Mehrheit des Reichstages, folglich ist auch
keine Aenderung eingetreten dadurch, daß jetzt noch andere Kompetenzer-
weiterungen auf dem Wege des Artikels 78 eintreten sollen. Leider also
ist es nichts mit der Mediatisirung, nichts damit, daß nun alle Schranken
gefallen seien und trotz dieser Dreiviertelmajorität der Einheitsstaat dem-
nächst in Gang kommen werde. Ich glaube, der Herr Abgeordnete Windt-
herst hat auch wohl selber Stunden, wo er die Sache anders auffaßt,
(Heiterkeit) und zwar ebenso, wie sie die größeren süddeutschen Regierungen
auffassen, denn ich höre, daß jetzt auch von würtembergischer Seite ein
ganz besonderer Werth auf das Festhalten der Dreiviertelmajorität gelegt
wird: man lernt eben durch das Beispiel Baierns. Meine Herren, ich
weiß nun wohl, daß solche Schranken, wie Sie sie hier setzen wollen, sich
auch in anderen Bundesstaatsverfassungen finden. Nur die Schranke, die
der Herr Abgeordnete Windthorst als das Wesen des Bundesstaats angiebt,
dab man nämlich auf die Einstimmigkeit aller Kontrahenten zurückgreifen
müßte, existirt in der ganzen Welt nicht. Es giebt heute gar keinen
Bundesstaat, der eine solche Schranke hätte, sie ist eine Doktrin, die nur
in den Köpfen einiger deutschen Gelehrten existirt. Ich weiß sehr wohl,
daß ähnliche Schranken, wie die Dreiviertelmajorität, auch in anderen
Bundesstaaten sich finden; ich behaupte aber kühn: es giebt keinen Bundes-
staat, hat nie einen gegeben, in dem die Schranke so verhängnißvoll, so
wirkungsvoll werden konnte, als sie bei uns werden wird. Wenn zum
Beispiel in der Schweiz bei Revision der Bundesverfassung zugleich zurück-
gegriffen wird — und das ist ja etwas Analoges mit dem, was der Ab-
geerdnete Windthorst sagt — auf die Einzelstaaten und die Gesammt-
bürgerschaft, ohne deren Zustimmung eine solche Revision nicht statthaben
kann — ja unter welchen Verhältnissen wird denn zurückgegriffen? Wenn
die Mehrheit der Kantone und die Mehrheit der Gesammtbürgerschaft der
Schweiz eine vorgenommene Revision der Bundesverfassung bestätigt, dann
ist sie in Kraft gesetzt. Ich bin gern bereit, eine ähnliche Institution bei
ans zu acceptiren statt der Dreiviertelmajorität, die uns hier oktroyirt
werden soll. In Amerika ist es auch nöthig, daß drei Viertel der Einzel-
staaten zustimmen zu einer Revision der Bundesverfassung. Ja, meine
Heren, wenn Sie in die Hand unserer Centralgewalt dieselben Befugnisse
legen wollen, die die amerikanische Centralgewalt hat, wenn Sie die Grund-