286 Vertrag mit Baden und Hessen.
züge eines wirklichen Bundesstaates in dieser Verfassung, die uns vorliegt,
so fertig machen wollen, wie sie dort fertig sind, dann bin ich vollkommen
bereit, die Dreiviertelmajoritäl zu acceptiren. Ich habe mich nun gefragt:
woran liegt es deun, daß so viele meiner Kollegen, die ja diese Bedenken
so wohl einsehen wie ich, sich doch leichter, als ich es vermag, darüber
hinwegsetzen: Und da ist mir bis jetzt nur Folgendes aufgestoßen: Die
Einen sagen nämlich, das sind ja nur Formen, Stimmen, was kommt auf
Stimmen an?; die Stimmen entscheiden ja nicht, die Formen machen es
ja nicht, die realen Verhältnisse werden es machen, die überwiegende Macht
der Präsidialgewalt zusammen mit dem Reichstage wird es machen, die
wird die Stimmen umzustimmen wissen. Meine Herren, wenn Sie damit
sagen wollen, daß nothwendigerweise die Präsidialgewalt die innere, geistig
umbildende Macht ausüben werde auf den Widerstand der größeren Einzel-
staaten, der Mittelstaaten, vor denen der Abgeordnete Freiherr von Hover-
beck mit Recht bei der Gestaltung dieser Verfassung gewarnt hat, so be-
haupte ich, wir haben in Deutschland durchaus keinen Beweis dafür, daß
diese innere umbildende Gewalt wirklich eintreten werde, wohl aber haben
wir den Beweis, daß sie nicht eintreten wird. Auf dem Frankfurter
Bundestage waren es diese Formen, diese scheinbar ganz unwichtigen
Stimmverhältnisse, die wirklich den Mittelstaaten eine Macht, einen Ein-
fluß gegeben haben, der durchaus nicht den natürlichen Verhältnissen ent-
sprach. Dasselbe wird sich bei uns wiederholen können. Oder ist vielleicht
etwas Anderes damit gemeint gewesen, — daß es ja auf die Stimmen, auf
die Formen nicht ankomme? Ich habe auch wohl solche Aeußerungen ge-
hört: man wird nöthigenfalls mit Aufbietung aller Machtmittel über diese
Stimmen hinwegschreiten; wenn in einem nothwendigen, in einem natio-
nalen Gegenstande dauernder Widerstand geleistet wird, der nicht anders
gebrochen werden kann, so wird die reale Macht hinwegschreiten müssen
über die Form der Verfassung. Ja, meine Herren, das ist es eben, was
ich tief beklage. Daß wir nicht die ideale Verfassung heut gründen konnten,
daß in gewissem Sinne ein Provisorium geschaffen werden würde, das
wußte ich freilich auch im Voraus; daß wir aber ein solches Provisorium
schaffen, von dem wir uns sagen müssen, wenn wir weiter in die Ferne
denken: überall liegen Keime zu Gegensätzen, zur Bildung einer antinatio-
nalen Opposition, Keime, die vielleicht zu gewaltsamen Konflikten führen,
und daß wir, während wir uns das sagen, das einzige Ventil wegschaffen,
was wir bis jetzt hatten, um solche Explosionen zu verhüten, — das ist
es, was ich tief beklage. Bei so großen Fragen, die einen so weiten
Ueberblick über die politischen Gesammtverhältnisse fordern, wie die, die
uns heute vorliegen, gebe ich ja gerne zu, daß der Einzelne vielleicht nicht
so Alles sieht, wie Andere das mögen sehen können. Ich will von Herzen
wünschen, daß ich ein falscher Prophet bin in dem, was ich meine, — ich