Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

354 Verträge 1870. Dritte Berathung. 
vom 23. Juli, beschlossen'). Die Verfassung giebt Ihnen unstreitig das 
Recht, Gesetze zu dekretiren; Sie haben auch unstreitig das Recht der Ver- 
fassungsänderung. Aber ob derlei Gesetze, wie das damals gegebene, auch 
principielle Berechtigung haben, und principiell im Rechte sind, das ist 
eine ganz andere Frage. Unzweifelhaft und unbestritten sogar ist jenes 
Gesetz ein Monopolj es ist gegeben ausschließlich für die gegenwärtige 
Versammlung, es ist gegeben ausschließlich für den gegenwärtigen Reichs- 
tag; und es ist weiter ein Gesetz mit rückwirkender Kraft; denn 
Sie haben ein Gesetz erlassen, welches sich ausschließlich darauf bezieht, die 
Mandate des gegenwärtigen Hauses, welche bereits im Jahre 1867 
vom Volke gegeben worden sind, zu prolongiren. Meine Herren, es giebt 
einen Rechtagrundsatz, welcher der Verfassung gegenüber stehen wird, wenn 
diese im Volke diskutirt und immer aufs Neue wieder erörtert werden 
wird. Ob die Verfassung, welche Sie auf Grund dieses Ihres Gesetzes 
vom Juli beschließen, zu Recht bestehe oder nicht, ob die Verträge, über 
welche Sie heut diskutiren und beschließen, zu Recht bestehen oder nicht, 
das ist eine Frage, welche, wenn sie immer aufs Neue wieder im Volke 
erörtert wird, auch immer wieder von Neuem dem Satze gegenüberstehen 
wird: quod ab initio nullum est, nullo lapsu temporis con- 
valescit. Es wird die Zeit einer Verfassung oder einem Ver- 
trage, welcher nicht von vornherein mit rechtsgültiger Kom- 
petenz beschlossen worden ist, niemals Rechtsgültigkeit ver- 
leihen können. Darum, meine Herren, ist es von unendlicher Wichtig- 
keit, daß wir uns der Kompetenz, mit welcher das Haus die Verträge und 
die Verfassung beschließt, erinnern. Diese Kompetenz nun, meine Herren, 
da Sie, wenngleich das Recht der Verfassungsänderung Ihnen unbedingt 
zu eigen ist, durchaus nicht berechtigt sind, Monopole für sich selbst oder 
aber gar Gesetze mit rückwirkender Kraft zu beschließen; diese Kompetenz, 
meine Herren, welche Ihnen nur in einem Falle beiwohnt, diese Kompe--- 
tenz kann nur eine durchaus revolutionäre sein. Sie haben, meine Herren, 
indem Sie das Gesetz vom Juli, welches Ihre Mandate verlängerte, er- 
ließen, einen Akt vollzogen, welchen ich nur als einen Staatsstreich be- 
zeichnen kann. Indessen, meine Herren, der Staatsstreich ist für die 
Partei, der ich angehöre, ist für meine Gesinnungsgenossen in der Nation 
durchaus nicht unter allen Umständen und in jedem Fall etwas Unbe- 
rechtigtes. Ganz im Gegentheil! Die Rechtsbasis eines Staats- 
streiches wird von der Socialdemokratie, der ich angehöre, und von der 
Nation überhaupt beurtheilt nach den Rechtserfolgen, welche sie hat. 
Wenn Sie, meine Herren, diesen Staatsstreich machten gegen das Volk, 
dann freilich fehlt Ihnen die Rechtsbasis, daun wird immer aufs Neue 
der Verfassung, welche Sie heute beschließen sollen, und den Verträgen, 
*) und zwar mit der sehr großen Majorität sowohl in II. a. a. O. S. 22 l., als 
III. Berathung S. 25 r. o.
	        
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