Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Generaldebatte über den badischhessischen Vertrag. Mende. 357 
stellung, welche ich einnehme, zu erleben. Heute fordere ich Sie auf, diese 
Demonstration Angesichts der hochwichtigen Frage, vor welcher wir stehen, 
fallen zu lassen! 
Präsident Dr. Simson: Ich unterstütze den Herrn Redner mit der 
Bitte um etwas Ruhe. 
Mende (Forts.): Baiern, in dessen Vertrage mit dem Norddeutschen 
Bunde wir vorzugsweise die Merkmale der Föderatien finden, Baiern ist 
es, welches mit historischer Nothwendigkeit gezwungen ist, auf die Föde- 
ration hinzuarbeiten. Baiern, jünger als Staat neben allen andern, 
Baiern ist — und ich stütze mich hier auf einen unserer größten Denker 
und Patrioten — Baiern ist erpicht, sich eine nationale Existenz zu schaffen; es 
ist erpicht, sich selbst den Charakter einer „Nation" zu erwerben, und es 
will darum das sich erobern, was vor allen Dingen den Charakter einer 
Nation bildet — eine Geschichte; es will sich den gemeinsamen Geist der 
Geschichte schaffen, die einheitliche Vergangenheit, und darum will 
Baiern abweichen von dem, was das gesammte übrige Deutschland 
will. Es ist, meine Herren, nicht der „baierische Adel“, auf welchen neulich 
der Stein des Partikularismus geworfen wurde, es ist der Adel, welchen 
Fichte im VII. Bande seiner Schriften gelegentlich charakterisirt: es ist die 
in den Stamm spystematisch hineingeimpfte, sogenannte volksthümliche Eitel- 
keit, es ist die Eifersüchtelei auf die anderen Stämme, welche in der baieri- 
schen Bepölkerung lebt und genährt wird, und auf welche hin man es ver- 
sucht hat, in die Verfassung, über welche Sie gegenwärtig berathen, eine An- 
zahl von Ausnahmebestimmungen zu okuliren, welche nicht nur die CEinheit- 
lichkeit der Nation sondern auch auf lange jeden gesunden Bund verhindern 
werde. Zwar, meine Herren, es wird von vielen Seiten die gemeinsame 
Vergangenheit des Jahres 1870 diesen Einwänden entgegengehalten; sie 
werde, so sagt man mir, die gemeinsame Geschichte, auf welche die natio- 
nale Einheit basirt werden soll, geschaffen haben. Die gemeinsame Geschichte 
des Jahres 1870 aber, worin beruht sie denn? In der Gemeinsamkeit des 
Sieges. Nun denn, war es die Tüchtigkeit der Generale, welche diese Siege 
berbeiführte? Oder war es die gerechte Sache, für welche wir fochten, welche 
diese Siege ermöglichte? Wenn es die erste war, so ist sie etwas rein Zu- 
fälliges, und dürfte kaum einen nationalen Kitt abgeben. Die Geschichte 
des Jahres 1870, die Siege dieses Jahres, wenn sie ausschließlich und allein 
ein Ergebniß der Tüchtigkeit der preußischen Generale oder der preußischen 
Organisation sind, haben für die Entwickelung der Nation nicht das leiseste In- 
tereisse, denn sie beruhen lediglich auf Zufall und können heute so und mor- 
gen anders sein. Wenn sie aber basirten auf der guten Sache, für welche 
wir fochten, auf der Gerechtigkeit der nationalen Vertheidigung, auf der na- 
tienalen Jdee, dann hatte Baiern partikularistisch dasselbe Recht der natio- 
nalen Vertheidigung seiner Grenzen wie Preußen, und in diesem Falle wird
	        
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