Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Jolly. 411 
zum ersten Male wirklich vorhanden sei. Den naturgemäßesten Weg zu 
diesem Ziele habe man darin erblickt, daß eine Verständigung zwischen den 
Vertretern des Norddeutschen Bundes, dem Bundespräsidium und den ein- 
zelnen Staaten stattzufinden habe, — ein Weg, der auch in der Nord- 
deutschen Bundesverfassuug vorgesehen —, und daß diese Verstäudigung 
dann der Zustimmung des Reichstags und der einzelnen Landtage zu unter- 
werfen sei. Das Verfahren sei zwar, nicht zu verkennen, umständlich, viel- 
leicht anch, wie Graf v. Berlichingen angedeutet, den Anschein bietend, als 
solle das Volk eigentlich keine Stimme haben, allein die Form des Ver- 
trages sei einmal nach Lage der Dinge, auch im Interesse der Rechtscon- 
tinnität, die allein mögliche gewesen und wenn bei dem so eingeschlagenen 
Wege, eben in Folge der Natur des Vertrags, im Einzelnen auch nichts 
mehr geändert werden könne, so habe doch die Absicht ferne gelegen, irgend- 
wie der freien Geltendmachung der Volkswünsche und Interessen entgegen- 
zutreten. Zur Sache selbst sei unsere politische Auffassung dahin mit- 
zetheilt worden, daß die Centralgewalt in diplomatischen und militärischen 
Beziehungen noch zu stärken, auf der andern Seite die Selbstständigkeit 
der einzelnen Staaten in ihrer innern Angelegenheit prinzipiell schärfer 
auzusprechen sei. Es scheine zu den Schwächen der Norddeutschen Bundes- 
verfassung zu gehören, daß in letzterer Hinsicht die Kompetenz nicht so fest- 
gestellt sei, um die Versuchung eines Hinüber= und Herübergreifens auszu- 
schließen. Wie wir einen politischen Gewinn in jener Stärkung und dieser 
festeren Grenzbestimmung erblickt, so hätte eine Sicherung der einzelnen 
Staaten vor Eingriffen in die Sphäre ihrer innern Angelegenheiten zu- 
gleich zu deren Beruhigung beigetragen. Uebrigens erklärten wir zugleich, 
wie wir auch zum Eintritt in den Bund mit seiner bestehenden Verfassung 
bereit seien. Nach hieran sich knüpfenden Verhandlungen waren wir am 
2. Oktober in der Lage, den förmlichen Antrag auf einfache Aufnahme in 
den Bund zu stellen und schon am 16. Oktober erfolgte die Einladung zu 
den Verhandlungen in Versailles. Dieselben verliefen äußerst glatt und 
einfach, da uur in zwei Punkten abändernde Anträge, übrigens ohne den 
Charakter von Bedingungen, vou uns gestellt wurden. Der eine bezog sich 
auf die Getränkefsteuer, die Steucr auf Bier und Branntwein. Hier sei 
mit Nachdruck von uns betont worden, daß, wenn sie für die andern süd- 
deutschen Staaten, wie man bereits wußte, als besondere Landessteuer vor- 
behalten werde, wir das Gleiche beanspruchen. Es habe dabei weniger der 
finanzielle als der volkswirthschaftliche Standpunkt die Entscheidung gegeben; 
denn während die norddeutsche Besteuerungsweise, was sie uns an der 
Biersteuer entzogen, durch die Branntweinsteuer wieder eingebracht hätte, 
— würde fie für die eminente Mehrzahl, besonders unserer kleineren 
Brennereien geradezu zerstörend gewirkt haben. Diesem Antrag sei denn 
ach bei der hierin anerkannten Grundverschiedenheit der Verhältnisse der 
siddeutschen Staaten von denen Norddeutschlands schon bei der ersten Vor-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.