Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

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Bau nach einem System herzustellen, so sei doch erreicht, was nach der 
harten Wirklichkeit möglich gewesen. Das Störendste sei vielleicht der auf- 
sallende Mangel au Symmetrie und Gleichartigkeit in den einzelnen Theilen; 
es berühre schoen unangenehm, daß die Grundverfassung in fünf verschiedene 
Aktenstücke sich vertheile. Vielleicht sei diese scheinbare Schwäche doch auch 
zugleich wieder eine Stärke. Diese Sostemlosigkeit habe die neue Ver- 
fassung mit der norddeutschen Bundeeverfassung gemein. Unter den zahl- 
keichen Verfassungen, welche die letzteu Jahrhunderte entstehen sahen, sei 
wohl keine in dem Maße systemlos, wie diejenige des Norddeutschen Bundes, 
und doch habe sie in der kurzen Zeit ihres Bestehens an Energie und 
Korrektheit des Wirkens so ziemlich alle ihre Konkurrentinnen geschlagen. 
Der Grund dieser auf den ersten Blick auffallenden Erscheinung liege darin, 
daß mit dem wunderbaren Scharfblick, welcker den Gründer der Norddeut- 
schen Verfassung auch zum Gründer des deutschen Nationalstaates gemacht, 
diese Verfassung berechnet sei auf die ganz bestimmt gegebenen realen Ver- 
hältnisse, auf die Befriedigung bestimmter gerade vorhandener Bedürfnisse. 
Ebenso verhalte es sich mit der neuen Verfassung; die Verhältnisse der 
neu eingetretenen Staaten seien zum Theil wesentlich andere gewesen, als 
diejenigen der vorher im Bunde vereinigten, und diesen neuen Verhältnissen 
habe Rücksicht getragen werden müssen. So könne der weitere Ausbau 
der Zukunft und dem sich geltend machenden Druck weiter hervortretender 
Bedürfnisse anheim gezeben werden. Die etwas zu bunte Mannigfaltig- 
leit dieser Verfassung habe nun im „Deutschen Reich und Kaiser" eine ein- 
heitlich zusammeufassende Iustikution erhalten, deren Bedeutung mit dem 
Herrn Berichterstatter nicht hoch genug angeschlagen werden köune. Ihrem 
Besen nach absolut einheitlich wirkend, werde sie dazu beitragen, daß im 
Verlauf der weiteren Entwickelung auch die politische Einheit immer stärker 
sich entfalte. Redner kann nur schließen mit der Hoffnung, daß das Haus 
einstimmig dem Vertragswerk beitreten werde, und mit dem Auödruck 
inniger Freude, daß es dem deutschen Volke endlich gelungen ist, auf diesen 
Punkt zu gelangen, — zu einem Zustand, der mehr bietet, als je in unserer 
Geschichte erreicht worden, der nicht blos politisch befriedigt, der zu gleicher 
Zeit in einer wahrhaft wohlthuenden, herzerhebenden, geistigen und morali- 
schen Gesundhei#t sich kundgiebt, — in jener Gesundheit, die unsere braven, 
lapxfern Truppen in jeder Gefahr, in allen Strapazen und Entbehrungen 
mit größtem Opfermuthe ausharren läßt, die alle Glieder der Nation durch- 
dringend, alle Stinde, alle Geschlechter mit dem höchsten Pflichtgefühl 
erfüllt und in dem großen, heiligen Zwecke des Vaterlandes verschwinden 
macht, was bisher die Parteien im Vatcrlande entzweit hat. 
Dr. Weizel'") wird frohen Muths und rückhaltslos für das ganze 
Vertragswerk stimmen, in dem er die Erfüllung langjähriger Wünsche er- 
  
*) S. 17 r. u.
	        
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