Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Biegeleben. 431 
Ursprung dieser neuen Schöpfung vergessen, ich kann nicht vergessen, daß sie 
aus einem traurigen Bruderkrieg hervorgegangen ist; ich kann nicht vergessen, 
daß uns dadurch 1 Deutschlands entfremdet worden ist, # Deutschlands, das 
mit seine schönsten Länder umfaßt, die nahezu tausend Jahre mit uns 
rerbunden waren. Ich kann auch das Gefühl nicht unterdrücken, daß aus 
einem solch' ungesunden Boden eine gesunde Saat nicht ersprießen werde, 
und ich kann nur wünschen, daß dieses mein Vorgefühl sich nie bewahrheiten 
möge. Indessen sind es nicht diese Gefühle, die mich in meiner Hal- 
tung zur heutigen Frage bestimmen. Ich, bin nicht so thöricht, zu glau- 
ben, daß man den Strom der Geschichte ohne Weiteres rückläufig machen 
länne; ich bin auch kein solcher Sclave meiner Gefühle, um mich jedem 
Entickelungsgang Deutschlands, der meinen persönlichen Wünschen nicht 
entsprricht, mit hartnackiger Feindlichkeit entgegenzustellen. Ich bin viel- 
mehr der Ansicht, daß jeder ernste Politiker mit den einmal gegebenen 
Verbältnissen rechnen müsse, daß in jedem einzelnen Fall mit Zurückdrängung 
seiner wenn auch noch so berechtigten persönlichen Gefühle zu prüfen habe, 
was unter den realen Verhältnissen für das Wohl des großen gemeinsamen 
wie des engeren Vaterlandes das relativ Beste ist. Mit diesen Gesinnungen 
bin ich von Anfang an an die Prüfung der Frage herangetreten, ob der Ein- 
tritt der Süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund dem Interesse Deutsch- 
lunds und unseres Großherzogthums entspreche, und ich habe mir diese Frage 
remeinen müssen. Wenn wir daher heute darüber abzustimmen hätten, ob 
die vier Süddeutschen Staaten in den Norddeutschen Bund eintreten sollen 
oder nicht, so würde ich diese Frage verneinen; oder wenn wir darüber ab- 
zstimmen hätten, ob das Großherzogthum allein, ohne die anderen Süd- 
deutschen Staaten, dem Norddeutschen Bunde beitreten solle, so würde ich 
diese Frage womöglich noch entschiedener verneinen. Aber so liegt die Sache 
nicht. Baden, Würtemberg und Baiern sind dem Norddeutschen Bunde be- 
reits beigetreten und nach Allem, was ich höre, steht mit Sicherheit zu er- 
warten, daß die Stände dieser Länder die betreffenden Verträge genehmigen 
werden, wie das von Seiten der badischen Stände bereits geschehen ist. Damit 
ist aber meines Erachtens die Frage für uns entschieden, denn selbst der verbissenste 
Gegner des Norddeutschen Bundes wird zugeben müssen, daß für ein kleines Land 
wie Hessen oder vielmehr nur für 2 Provinzen dieses Landes es geradezu 
eine Unmöglichkeit ist, inmitten des neucn Deutschen Bundes allein demselben 
fremd zu bleiben. Baiern, welches in dieser Sache die Initiative ergriffen 
hat, wird daher eine große Verantwortlichkeit für die künftige Entwickelung 
Deutschlands zu tragen haben. Ich wiederhole, meine Herren, wenn ich heute 
für die vorliegenden Verträge stimme, so geschieht es also nur, weil ich mich 
in das Unvermeidliche füge, weil ich nicht für die Fortdauer eines Zustandes 
stimmen kann, den ich nach den vorhandenen Verhältnissen für geradezu un- 
möglich erachten muß. — Wenn ich mich mit so großer Entschiedenheit gegen 
den Norddeutschen Bund und seine Verfassung ausgesprochen habe, so glaube
	        
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