446 Hessen. Verhandlungen der zweiten Kammer.
Freiherr v. Gagern’'): Es sind uns Verträge vorgelcgt worden, welche
die zukünftige Verfassmg des neuen Deutschen Bundes zum Gegenstand haben
und diese festsetzen. Diese Verträge sind von unserer Seite einfach anzu-
nehmen oder abzulehnen; zu amendiren sind sie nicht. Das liegt in der
Natur der Verfassungsverträge, die von der Initiative der Regierung
ausgehen und in dieser Initiative der Stimmung des Wolkes vorzufühlcn
suchen. Ich werde mich für Annahme dieser Verträge aussprechen, nicht als
ob ich nicht Manches in Betreff derselben auf dem Herzen hätte, was mich
drückt. Dennoch bitte ich Sie, diese Aeußcrung nicht so zu verstehen, als ob
ich in verbitterter Resignation für Annahme dieser Verträge stimme, sondern
ich thnc es in der vollen Ueberzengung, daß sie im Gesammt-Interesse
Deutschlands und unseres Landes Hessen angenommen werden müssen. Mit
Dank gegen die Vorsehung, die die Geschicke der Natienen leitet, erkenne
ich an, daß mittelst dieser Verträge Vieles von dem erfüllt wird, was seit
Derennien als die Sehnsucht der Nation sich kund gegeben hat. Vor Allem
werden diese Verträge ein einheitliches Staatswesen in Deutschland begrün-
den, ein volles Staatswesen, welches wir bedürfen, wenn wir nicht auch
künftig wie in der Vergangenheit unter den Uebergriffen der einheitlich con-
stituirten Nachbarnationen zu kurz kommen wollen. Ich erkenne ferner an,
daß diese Verträge, in weiterem Umfange, als es nach dem Geiste der Nord-
deutschen Bundesverfassung erwartet werden konnte, die Autonomie den Ein-
zelnstaaten zugestehen. Und mit dieser Autonomie wird auch das Anfehen und
der Einfluß der Dynastien in den Einzelstaaten bestehen, die Glanz auf un-
sere nationale Geschichte werfen, und die wir nicht ohne Bruch mit unserer
ganzen geschichtlichen Vergangenbeit herabwürdigen lassen dürfen. Neben der
Beibehaltung der Autonomie, neben dem einheitlichen Staate haben wir
ferner erreicht, was wir so lange erstrebten: ein Parlament deutscher Na-
tion. Und läßt dieses Parlament und lassen die Bedingungen, unter wel-
chen es thätig sein wird, Vieles zu wünschen, dessen Erfüllung wir von der
Zukunft erwarten, — ich vertrauc auf den Geist der Nation, daß es ihm
gelingen werde, diese Zukunft besser zu gestalten. Und in Verbindung mit
dieser Zurersicht steht ein anderer Grund für die Annahme der Ver-
träge, der uns Bürgschaft bietet für künftige Vervollkommnung der Ver-
fassung: Es ist in dem Preußischen Reichstag von dem Bundesminister,
der dort die Verträge zur Annahme vorgelegt hat, Folgendes gesagt worden:
„Wenn ich mich nun zu der Sache selbst wende, so glaube ich vorausschicken zu
müssen, daß es bei den Verhandlungen nicht unerwogen geblieben ist, ob es sich
empfehle, in die neue Verfassung Bestimmungen aufzunehmen, welche unabhängig
von der in Aussicht genommenen Erweiterung des Vundesgebiets die eigentliche
perfassungsmäßige Auebildung des Bundes zum Gegenstande hätten. Ich
glaube, die zwei Fragen welche hier vorzugsweise in Betracht kommen
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