Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

472 Heffen. Verhandlungen der zweiten Kammer. 
weniger Neigung gezeigt, würtembergisch, baierisch, hessisch in gewisser 
Beziehung zu sein, als wie die preußische, preußisch zu sein? Hat nicht die 
preußische Bevölkerung bei einer Reihe von Gelegenheiten, obgleich sie durch 
die größere Zahl der Seelen, obgleich sie durch ihre Geschichte u. s. w. rer- 
anlaßt ist stolzer zu sein wie wir, hat sie nicht stets sich gebeugt unter den Willen 
der Nation? Ich erinnere nur an den Beginn der Bewegung. Welche 
Stadt war es die zuerst voranging, indem sie aufrief die durch Durch- 
märsche der Truppen nach Frankreich geschädigten südlichen Provinzen von 
Deutschland zu unterstützen, die dazu 1 pCt. ihrer Bruttoeinnahme gab? 
Es war der Magistrat und die Stadtverordneten von Berlin. 
Und so haben Sie die Sache überall gefunden. Das preußische Abgeord- 
netenhaus hat sich stets unterworfen und obgleich in dem preußischen Herren- 
haus gerade die früheren Parteigenossen des jetzigen Bundeskanzlers sitzen, 
obgleich da Männer sitzen, die in der preußischen Monarchie persönlich den 
größten Einfluß haben und obgleich von. Seiten eines früher mächtigen Ministers 
der Versuch gemacht wurde dort diesem sogenannten deutschen Wesen entge- 
genzutreten mit dem altpreußischen System, was zeigte sich? Wer fragt heute noch 
nach dem Herrenhaus? Ist der Deutsche Reichstag nicht derjenige Körper, 
der bei jeder Gelegenheit von der preußischen Regierung bevorzugt wird! 
Ich will nicht leugnen, meine Herren, daß im Preußischen wir noch viel zu 
kämpfen haben. Es sind dort Millionen und Millionen, namentlich meiner poli- 
tischen Gegner, die wollen von dem neuen Deutschland auch nichts wissen — 
von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus. Diese finden in dieser Ver- 
fassung zuviel des demo kratischen Oels, sie meinen, die ganze Sache, 
das allgemeine Wahlrecht und alles Das sei Demokratie. Aber Sie müssen 
sich fragen: wie zeigt sich die Stimmung in der Presse, in Versammlungen, 
gesetzgebenden Körpern, Abgeordnetenhäusern und dergl.? Und da muß Jeder 
zugeben, daß dem preußischen Volke wahrlich kein Vorwurf gemacht werden 
kann eines übermäßigen Partikularismus. Und wenn eine Volksvertretung 
einen Vertrag genehmigt hat, der in der That einem Drittel der Nation 
mehr Stimmen giebt, als den übrigen zwei Dritteln, der in der That 
den diplomatischen Ausschuß in einer Weise zusammensetzt, daß Preußen gar 
nicht vertreten ist, der in einer Reihe von Punkten die Macht der Cen- 
tralgewalt, also des künftigen deutschen Kaisers, schwächt, wenn eine preußische 
Volksvertretung dazu ihre Zustimmung giebt, dann, glaube ich, sind Sie nicht 
berechtigt zu sagen, das ist übermäßiger Partikularismus. Ich glaube der Tadel 
des Herrn v. Gagern in der Beziehung war nicht berechtigt. Wenn dann 
Herr v. Gagern davon sprach, er wünsche ein Zwei-Kammer-System, so babe 
ich schon angedeutet, darüber läßt sich streiten. Ich wünsche es eigentlich nicht; 
wenn ich es wünsche, wünsche ich es aber jedenfalls, indem die Rechte des Volks 
und die Gewalt der Kammer in gehöriger Weise verstärkt werden. Unter keinen 
Umständen aber möchte ich das Oberhaus in der Weise zusammengesetzt sehen, 
wie Herr v. Gagern es andeutet. Desin darüber werden Alle einverstanden sein —
	        
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