512 Wäürtemberg. Kammer der Abgeordneten.
des großen Volksstammes werden. Meine Herren, man spricht von einem
Bundesstaate, in welchen wir eintreten sollen; aber was uns geboten wird,
ist kein Bundesstaat; man hat es mit Unrecht so genannt. Es ist nicht ein
Bumdesstaat, wie die Schweiz oder wie Nord-Amerika; dort sind allerdings
gewisse Rechte dem Bundc vorbehalten und den einzelnen Staaten entzogen.
Aber, meine Herren, dort ist nicht nur kein solches Mißverhältniß der Kräfte
vorhanden, welches die Herrschaft eines einzigen Staates über die anderen
durch überwiegende Stimmenverhältnisse u. dgl. mit sich bringen würde, son-
dem dort sind auch rerfassungsmäßige Einrichtungen, vermoge deren eine
solche Herrschaft ausgeschlossen ist, indem z. B. der kleinste Bundesstaat im
Staatenhanse so viele Stimmen hat wie der größte. Dort sind also die
Rechte auch der kleinen Staaten gewahrt. Dert gehört auch das Bundes-
oberbaupt nicht verfassungsmäßig dem größten Staate an und ist nicht
identisch mit einem Regenten eines alle anderen an Macht überragenden
Staates, sondern der Bundespräsident wird bald aus diesem, bald aus jenem
Bimndesstaate, oft ans einem kleinen Staate genommen. Dort also, meine
Herren, dort kann von einem Bundesstaate die Rede sein; dort ist ein sol-
cher; dort sind den einzeluen Staaten und ihren Angehörigen Unabhängig-=
keit, Recht und Freiheit vorbehalten in einer großen Zahl von Fällen, wo
sie uns genommen werden. Ich komme nun, meine Herren, zu einem Punkte,
der vielleicht in aller Augen noch mehr Gewicht hat, als der vorige: es ist
die Militärfrage. Sie ist unter vielen Gesichtspunkten eine solche, welche
in dieser Verfassung das Deutsche Volk und namentlich das der untergcord-
neten Staaten, der Hintersaßenländer, aufs Höchste beschwert, weil diesen
Ländern das Gesetzgebungs= und Selbstbestimmungerecht auf diesem wichtig-
sten Gebiete bes staatlichen und menschlichen Lebens entzogen und dieselben
mit ungeheneren Lasten, ohne die Mittel zu irgend welcher Erleichterung,
belegt werden. Die vorliegende Bundesverfassung und die abgeschlossene
Militärkonvention sind in dieser Beziehung der Art, daß sie allein schon hin-
reichen sollten, um die vorliegenden Verträge verwerfen zu lassen. Der erste
Punkt besteht darin, daß die ganze Militärgesetzgebung und Verordnungs-
gewalt auf militärischem Gebicte unserem Lande entgeht. Die Militärgesetz-
gebung soll den gesetzgebenden Gewalten des Bundes und die Verordnungs-
gewalt in Militärsachen soll dem Kaiser zustehen. Die Gesetzgebungsgewalt
in Militärsachen hängt aber insoferne auch von dem Kaiser ab, als er gegen
jede Aenderung im Militärwesen rerfassungsmäßig ein unbedingtes Ein-
spracherecht hat, so daß ohne seine Genehmigung nichts abgeändert werden
kann. Sodann ist zweitens ausgesprochen, daß die preußische Militärgesetz-
gebung, die preußischen Verordmungen und Verfügungen aller Art im Mili-
tärwesen, seitherige und künftige, für den ganzen Bund gelten sollten. Aus
der preußischen Militärgesetzgebung ergeben sich aber solche Lasten, Lasten
für den einzelnen Mann, wie z. B. dreijährige Präsenz bei allen Waffen-
gattungen, und Lasten für die Länder durch Festsetzung einer so großen Frie-