Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Mohl. 521 
Geschäft oder Vergnügungs halber, sei es als Arbeiter, Dienstbote u. s. w. 
in einem Orte zugebracht hat, in diesem Orte den Unterstützungswohnsitz 
un rermäge dieses das Recht hat, daß derselbe ihn und seine Familie im 
Lerarmungsfalle unterstützen muß. Dieses Gesetz hat zweierlei Schatten- 
scäten. Einerseits bedroht es die wohlhabenden Orte und insbesondere die 
Städte mit der Belastung durch ein denselben fremdes Proletariat; anderer- 
seits bat es in Norddeutschland bei seiner rückwirkenden Kraft für die 
nkitende Klasse bereits die traurige Folge gehabt, daß auf Gütern Dienst- 
deten, Taglöhner u. s. w., mit denen man zufrieden war, vor Ersitzung 
des Unterstützungswohnsitzes mittelst Kündigung fortgeschickt werden. Es 
bat daber ebenso harte Folgen für die arbeitende Klasse, wie es gefährlich 
für wohlhabende Gemeinden ist. Bei uns ist durch unsere bestehende Ge- 
setzgebung diesen Nachtheilen Niemand autgesetzt. Jeder muß nach unserer 
Terfassung irgendwo Gemeindebürger sein; er kann aber bei gutem Prädikat, 
sich aufhalten wo er will. Wenn er verarmt, kann er seiner Gemeinde 
zuückgeschickt werden; er ist aber dem Fortgeschicktwerden durch seinen 
Bredherrn wegen einer bloßen Möglichkeit der Verarmung nicht ausgesetzt. 
Dieses Norddeutsche Gesetz über den Unterstützungswohusitz, mit welchem 
wir immerhin auch bedroht sind, ist ein Beleg dafür, wie zweckwidrig es 
ist, wenn man den Einzelstaaten (was in Nordamerike und der Schweiz 
nicht der Fall ist) das Gesetzgebuugsrecht bis ins Innerste der bürgerlichen 
Verhältnisse hinein entzieht und für einen so großen Kompler von Staaten 
Dinze gesetzlich regeln will, welche sich in den verschiedenen Ländern nach 
ortlichen und hergebrachten Verhältnissen ganz verschieden gestaltet haben. 
Ich möchte zum Schlusse nur noch zwei Hauptmißstände hervorheben, 
welche den Eintritt in diesen Bund für uns besonders unräthlich machen. 
De eine besteht in dem Stimmenverhältniß im Reichstage. Es ist 
zwar ganz natürlich, daß für die Wahlbezirke eine gleiche Bevölkerungszahl 
(100,000 Seelen) vorgeschrieben ist. Da aber die Bevölkerung Preußens, 
abgesehen von den bevorstehenden Erwerbungen französischer Provinzen, 
62 Prozent des Ganzen (Nord= und Süddeutschland) beträgt, und die 
Erfahrung lehrt, wie sehr die preußischen Abgeordneten und mit ihnen 
riele nerddeutschen gegen die übrigen zusammenhalten, so ist schon mit 
dem Stimmenverhältniß die Beherrschung und Mediatisirung der süddent- 
schen Staaten zum Voraus gegeben, wenn sie in einen solchen Bund treten. 
Der zweite ist der Verbehalt der Erweiterung der Bundeszustän- 
digkeit. Einer solchen ist durch ein Erforderniß von # der Stimmen 
im Bundesrathe, oder auch durch ein Veto von 14 Stimmen in demselben 
nur sehr ungenügend vorgebeugt. Das Allermindeste, was man hätte be- 
dingen sollen, wäre denn doch gewesen, daß die Zuständigkeit des Bundet 
nur mit Zustimmung der vertragenden Regierungen und ihrer Landesgesetz- 
gebung erweitert werden dürfe. Meine Herren, um es in ein paar Worte 
zusammenzufassen: die süddeutschen Staaten sind bis jetzt Fische gewesen,
	        
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