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manches mag als eine zweifelhafte Errungenschaft augesehen werden; jeden-
falls schien es Ihrer Kommission nicht gerathen, in einem Augenblicke,
we so große Fragen zur Berathung vorliegen, in kleinliche Vergleichung
der eignen Stellung mit derjeuigen eines immerhin nach Gebietsumfang
bedeutenderen und in seinem Gigenleben mannigfaltigeren Nachbarlandes
einzugehen. Frisch und freudig soll die Zustimmung zu einem Werke sein,
welches die Einheit der Nation zu verbürgen bestimmt ist, soweit solches
jetzt möglich erscheint, und welches dem Wunsche so vieler treuen Söhne
des Vaterlandes nicht präjudicirt, es möge baldigst zwischen dem früheren.
Träger der alt -germanischen Kaiserkrone und demjenigen der neu auf-
strablenden ein Bund geschlossen werden, der alle Stämme Deutscher
Nation zu ihrem Wohl und zum Segen der Weit wenigstens in ihren
Hauptlebenszwecken wieder rereinigt. Daß die Namen „Kaiser und Reich“
mit der neuen Schöpfung aus der Vergangenheit auftauchen, kann nur
jsedes Deutsche Herz erfreuen und wird zugleich als ein willkommenes
äußeres Zeichen dafür betrachtet werden, daß es Deutschland gelungen ist,
sich zum vollen, freien Herrn seines Geschickes zu machen und als solcher
rer die Mit= und Nachwelt zu treten. Dem von mauch' achtbarer Seite
rernommenen Wiusche gegenüber, daß das neue Verfassungswerk aus der
Arbeit einer konstituirenden Versammlung hervorgegangen und ohne das,
was man „Hast und Eile“ nennen will, in's Leben getreten sein sollte,
kann man nur auf den Erust der Lage hinweisen, welcher in keiner Weise
erlaubt, sich auf den Boden der Theorieen zu begeben. Sich anschließen an
einen festen Kern, ein bereits begründetes Staatswesen erweitern und ver-
Nößern, aber dasselbe kräftigend auch seiner bewährten Kraft sich
jelbst theilhaftig machen, das allein kann ren einer gesunden Politik
gutgeheißen werden. Wie könnte man dem Norddeutschen Bunde anmuthen,
den festen Boden, worauf er steht, lockern zu lassen ohne irgend eine
Garantie dafür, daß unter allen Umständen etwas Besseres an die Stelle
des Gegebenen trit!? Wie vollends gar das bisher Vereinigte auflösen,
um dem unsicheren Gang parlamentarischer Verhandlungen zu überlassen,
welches Gebilde aus dem Kampfe der politischen Parteien hervorgehen
würde? Man müßte den Geist der Menschen und, sagen wir es geradezu,
unseren eigenen deutschen Geist wenig kennen, wollte man sich verbergen,
daß nach Beseitung der nächsten Gefahr die untadelige, abstrakte Theorie,
die redliche aber unpraktische Parteianschauung wieder das Ruder ergreifen
und hinauszustenern suchen würde in das weite, uferlose Meer, und daß
man noch erhitzt über diesen und jenen für unentbehrlich erachteten Para-
grashen des neuen Grundgesetzes streiten möchte, wenn schon die fernen
Donner drohend rollen. Wer weiß aber, ob zum zweitenmal aller Hader
schweigen würde, wenn der Sturm losbricht? Wer wollte die Verant-
wertung dafür übernehmen, daß nicht feindliches Wühlen die bis dahin
geschlessenen Reihen lichtete und durch die einmal gebildete Lücke das Ver-