Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Linden. 573 
manches mag als eine zweifelhafte Errungenschaft augesehen werden; jeden- 
falls schien es Ihrer Kommission nicht gerathen, in einem Augenblicke, 
we so große Fragen zur Berathung vorliegen, in kleinliche Vergleichung 
der eignen Stellung mit derjeuigen eines immerhin nach Gebietsumfang 
bedeutenderen und in seinem Gigenleben mannigfaltigeren Nachbarlandes 
einzugehen. Frisch und freudig soll die Zustimmung zu einem Werke sein, 
welches die Einheit der Nation zu verbürgen bestimmt ist, soweit solches 
jetzt möglich erscheint, und welches dem Wunsche so vieler treuen Söhne 
des Vaterlandes nicht präjudicirt, es möge baldigst zwischen dem früheren. 
Träger der alt -germanischen Kaiserkrone und demjenigen der neu auf- 
strablenden ein Bund geschlossen werden, der alle Stämme Deutscher 
Nation zu ihrem Wohl und zum Segen der Weit wenigstens in ihren 
Hauptlebenszwecken wieder rereinigt. Daß die Namen „Kaiser und Reich“ 
mit der neuen Schöpfung aus der Vergangenheit auftauchen, kann nur 
jsedes Deutsche Herz erfreuen und wird zugleich als ein willkommenes 
äußeres Zeichen dafür betrachtet werden, daß es Deutschland gelungen ist, 
sich zum vollen, freien Herrn seines Geschickes zu machen und als solcher 
rer die Mit= und Nachwelt zu treten. Dem von mauch' achtbarer Seite 
rernommenen Wiusche gegenüber, daß das neue Verfassungswerk aus der 
Arbeit einer konstituirenden Versammlung hervorgegangen und ohne das, 
was man „Hast und Eile“ nennen will, in's Leben getreten sein sollte, 
kann man nur auf den Erust der Lage hinweisen, welcher in keiner Weise 
erlaubt, sich auf den Boden der Theorieen zu begeben. Sich anschließen an 
einen festen Kern, ein bereits begründetes Staatswesen erweitern und ver- 
Nößern, aber dasselbe kräftigend auch seiner bewährten Kraft sich 
jelbst theilhaftig machen, das allein kann ren einer gesunden Politik 
gutgeheißen werden. Wie könnte man dem Norddeutschen Bunde anmuthen, 
den festen Boden, worauf er steht, lockern zu lassen ohne irgend eine 
Garantie dafür, daß unter allen Umständen etwas Besseres an die Stelle 
des Gegebenen trit!? Wie vollends gar das bisher Vereinigte auflösen, 
um dem unsicheren Gang parlamentarischer Verhandlungen zu überlassen, 
welches Gebilde aus dem Kampfe der politischen Parteien hervorgehen 
würde? Man müßte den Geist der Menschen und, sagen wir es geradezu, 
unseren eigenen deutschen Geist wenig kennen, wollte man sich verbergen, 
daß nach Beseitung der nächsten Gefahr die untadelige, abstrakte Theorie, 
die redliche aber unpraktische Parteianschauung wieder das Ruder ergreifen 
und hinauszustenern suchen würde in das weite, uferlose Meer, und daß 
man noch erhitzt über diesen und jenen für unentbehrlich erachteten Para- 
grashen des neuen Grundgesetzes streiten möchte, wenn schon die fernen 
Donner drohend rollen. Wer weiß aber, ob zum zweitenmal aller Hader 
schweigen würde, wenn der Sturm losbricht? Wer wollte die Verant- 
wertung dafür übernehmen, daß nicht feindliches Wühlen die bis dahin 
geschlessenen Reihen lichtete und durch die einmal gebildete Lücke das Ver-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.