580 Würtemberg. Kammer der Standesherrn.
gesetzt werde — ihre Verpflichtung zum Beistande im Allgemeinen war
fest anerkannt, und daß sie ihr ehrlich nachkommen würden, sollte nament-
lich Angesichts des jetzigen Krieges nicht in Zweifel gestellt werden wollen.
Anders für den Fall eines von Deutscher Seite zu beginnenden Angriffs-
krieges. Baiern hat stets behauptet, daß auf Angriffskriege das bestehende
Bündniß sich nicht beziehe; in der würtembergischen Ständeversammlung
versicherte dasselbe im Jahre 1867 der damalige Minister der auswärtigen
Angelegenheiten, und nur nach dieser Versicherung stimmten die Kammern
dem Allianzvertrage zu. Danach läßt sich füglich behaupten, daß die beiden
süddeutschen Königreiche es bisher als ihr Recht gewahrt haben, ihrerseits
in jedem einzelnen Falle zu prüfen und zu entscheiden, ob die Pflicht zu
Abwehr eines feindlichen Angriffs oder andere dringende Interessen ihnen
Anlaß geben, an dem Kriege sich zu betheiligen oder nicht. Und wie dieß
als ihr Recht sich darstellt, so hätten sie wohl auch, sobald sie unter sich
übereinstimmten, bei dem wirklichen Eintreten der Kriegsfrage meistens die
Macht besessen, nach ihrer eigenen Entichließung am Kriege Theil zu
nehmen oder nicht. Künftig aber soll dies nicht mehr von ihrer eigenen
Rechtsanschauung, nicht mehr von ihrem eigenen Urtheil über das Interesse
ihrer Länder und beziehungsweise Deutschlands, sondern es soll nun von
dem Beschlusse des Bundesraths abhängen, auf welchen Preußen so über-
mächtig einzuwirken vermag. Je weniger anzunehmen ist, daß einer der
süddeutschen Staaten seinerseits einen Angriffskrieg gegen ein Nachbarland
zu beginnen jemals die Idee haben werde, je sorgfältiger jene Staaten ver jeder
Provokation anderer Staaten sicher stets sich hüten werden, desto weniger wird
man behaupten können, daß es ihrem Wohle entspreche, wenn in solcher Weise
ihre Verwickelung in Angriffskriege erleichtert wird. Einen Vortheil für
das gesammte Deutschland köunte man in der neuen Bestimmung darum
finden wollen, weil so unter den Deutschen jede Meinungsverschiedenheit
darüber, was Angriffs-, was Vertheidigungskrieg sei, in einfacher und
rascher Weise ihrer Entscheidung zugeführt werde. Allein hicrauf wäre
neben der Hinweisung auf das Handeln der süddeutschen Staaten im
Sommer 1870 zu entgegnen, daß sobald Anlaß zu ernstem Zweifel über
diese Frage vorhanden ist, einige Schwierigkeit in der Lösung des Zweifels
die heilsame Folge haben wird, Angriffskriege um so eher zu verhüten, die
Bemühungen zur Erhaltung des Friedens um so eher erfolgreich zu machen.
Die neue Bestimmung erscheint daher gegenüber von den bisherigen Ver-
trägen höchstens für Preußen oder den bi5herigen Norddeutschen Bund als
vortheilhaft, nämlich insofern ale diese, falls Preußen einmal einen Angriffs-
krieg beginuen wollte, den Beistand Süddeutschlands leicht erzwingen könnte.
Ob Preußen selbst diesem Zwecke bei der vorliegenden Vertragsbestimmung
ein erhebliches Gewicht beigelegt habe, darf wohl als zweifelhaft betrachtet
werden, da seinem jetzigen Henscher die Absicht, Angriffskriege zu beginnen,
gewiß ferne liegt. In späteren Generationen freilich wird für seine Nach-