Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

1871. M. Barth. 635 
Jahren, von denen ich 16 Jahre in diesem Hause sitze, ist hier von einer 
Minorität für die Deutsche Idee gekämpft worden, das ist wahr, aber, meine 
Herren, jedesmal, wenn wir dafür gekämpft haben, sind wir unterlegen, sind 
wir uͤberstimimt worden; nicht ein einziger Schritt ist in diesem Hause durch 
unsere Thätigkeit geschehen, der die Deutsche Sache unmittelbar vorwärts 
gebracht hätte, aber die Majorität des Hauses — und es gilt dies nicht blos 
ren der Partei, welcher der Herr Kammersekretär angehört, sondern 
(der Geschichte muß man gerecht werden) das hohe Haus in seiner Majo- 
eitit je nach den verschiedenen Gestaltungen, die es zu verschiedenen Zeiten 
hatte, hat immer auch den mindesten Konzessionen an die Deutsche Sache 
widerstrebt und hat es auf diese Weise selbst dahin gebracht, daß die Dinge 
so stehen, wie sie jetzt stehen — ich sage aber nicht zum Unglücke, sondern zum 
Glücke. — Und nun, meine Herren, bitte ich, überlegen Sie zwei Dinge wohl. 
Zum Ersten: wenn Sie „Nein“ sagen, wie wird die Stellung des baierischen 
Volkes zu dem gesammten Deutschen Volke sein? Glauben Sie denn etwa, 
wenn wir in einer solchen Weise in diesen Tagen die Deutsche Gesinnung 
rerläugnen oder wenigstens zu verläugnen scheinen, glauben Sie, wir dürfen 
uns außerhalb unserer Grenzpfähle in Deutschland noch sehen lassen ohne 
mit Hohn und Spott von der ganzen Nation behandelt zu werden? Daß 
wir es nicht dürfen, das wird unser Schicksal sein. Zum Andern: es ist 
moͤglich, daß Sie die Verträge abwerfen, nicht mit einer Majorität, sondern 
mit einer Minorität, weil eben die Zwei-Drittheil-Majorität für die Verträge 
nicht zu Stande kommt. Das Höchste, was Sie dann erreichen — durch eine 
alsdann erfolgende Appxellation an das Volk erreichen können, ist, daß die 
Verträge das zweite Mal auch wieder von einer Minorität abgeworfen werden. 
Meine Herren! Was haben Sie aber dann gewonnen? Glauben Sie denn, 
Sie können die Geschichte rückläufig machen! Nimmermehr! Sie können 
Baierm in einen fast unerträglichen intermediären Zustand versetzen. Sie 
kennen die Parteikämpfe bis auf's Aeußerste steigern. Endlich aber wird der 
Mement kommen, in welchem Sie selbst in diesem Hause „Ja“ sagen werden 
zu einem Vertrage, der keine Sonderrechte mehr für Baiern enthält, — „Ja“ 
sagen werden, so gut wie Ihre Vorfahrer „Ja“ gesagt haben im letzten 
Momente zum französischen Handelsvertrage, gegen welchen sie vorher jahre- 
lang auf das Entschiedenste gekämpft batten. Sehen Sie, meine Herren, 
das ist die Macht der inneren Nothwendigkeit, die in den Dingen liegt, und 
darum bitte ich Sie, fügen Sie sich lieber jetzt den Umständen, streben S#- 
nicht das Unmögliche an! 
Minister der Finanzen v. Pfretzschner'): Meine Herren! Ich habe mir 
das Wort sofort zu Anfang der Diskussion erbeten, weil ich ein Versprechen 
zu lösen habe, welches ich im Ausschusse gab, und ich sehe mich zur Lösung 
*) A. a. O. S. 123 r. o.
	        
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