Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Völk. 653 
Lebens überhaupt."“ Das hat noch niemals ein Minister, das hat noch nie- 
mals ein Staatsmann, das hat noch kein Mensch mit gesunden Sinnen be- 
stritten, daß ohne die Möglichke it von Konflikten ein konstitutionelles 
Leben, die Ausübung gemeinschaftlicher Rechte überhaupt möglich ist. — Die 
#erschläge der Regierung sind nicht angenommen, sondern verworfen wor- 
den. Vor der Endabstimmung über das Amendement Stolberg hat nun 
Bismarck noch gesagt: „Ich erlaube mir an die hohe Versammlung bei 
diesem Artikel von Neuem die dringende Bitte zu richten, sich wenigstens in 
diesem Falle für das Amendement des Grafen Stolberg-Wernigerode, welches 
statt der Worte „bis zum 31. Dezember 1871“ setzen will „bis zum Erlaß 
eines Bundesgesetzen", und für das zu dem Hohenlohe'schen Amendement ge- 
siellte Sous-Amendement des Grafen Otto von Stolberg-Wernigerode erklären 
zu wollen. Geschieht dies nicht, meine Herren, so laufen wir Gefahr — 
ich überlasse es Jedem, die Berechnung anzustellen — daß, nachdem alle 
übrigen Aenderungs-Anträge, welche den verbündeten Regierungen die Vor- 
lage annehmbar machen würden, verworfen sind, die Vorlage nicht annehmbar 
wird, und jetzt im letzten Augenblicke das Ziel der Berathung, welches wir 
glauben schon mit der Hand fassen zu können, entrollt und nicht erreicht 
wird. Diese Gefahr bitte ich, sich zu vergegenwärtigen, ehe Sie dieses ver- 
werfen.“ Sie sehen also, meine Herren — und das ist aus den Verhand- 
lungen mit Evidenz zu entnehmen — gerade der Art. 62 und der fragliche 
Punkt war es, der noch im letzten Augenblicke das Zustandekommen 
der Norddeutschen Bundesverfassung in Frage stellte. Bismarck 
hat erklärt, er konne nicht sagen, und er sei nicht ermächtigt zu sagen, ob 
nicht gerade an dem Festhalten dieses Artikels das ganze Werk scheitern 
werde. War das aber der Fall, so wird auch von meiner Seite der Rück- 
schluß zulässig sein, daß es sich nicht um eine unwesentliche Differenz, 
sondein daß es sich um das höchste konstitutionelle Recht handelte, welches 
ren der preußischen Verfassung in die Norddeutsche Reichsverfassung herüber- 
zunehmen war; wie denn auch einer der Norddeutschen Abgeordneten gesagt 
bat: „Wir wollen Alles thun, damit der Norddeutsche Bund zu Stande 
kemme, aber wir konnen und dürfen nun und nimmermehr zugeben, daß 
auf dem Wege vom Abgeordnetenhaus zum Reichstag das Bud- 
getrecht des Volkes (und sei es auch nur in beschränkter Gestalt) ver- 
leren gehe." Die Reichsverfassung ist nichts desto weniger und trotz der 
Bedenken Bismarcks sanktionirt worden, weil man den Ernst der Volks- 
vertretung erkannt hatte, lieber keine Verfassung zu Stande zu bringen, als 
das Budgetrecht des Reichstags aufzugeben. Dies, meine Herren, 
it die Entstehungsgeschichte des betreffenden Artikels, und wenn von 
Seite des Herrn Referenten die Aeußerung des Heri Abgeordneten 
Scherer angeführt wird, so kann ich kaum begreifen, wie es möglich ist, 
daß er aus dieser Aeußerung seine Schlüsse hat ziehen können, welche er 
in der That daraus gezogen hat. Der Herr Referent sagt in seinem
	        
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