Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Greil. 689 
Zwangslage anerkennen kann, das muß ich bezweifeln. Einer solchen Even- 
tualität gegenüber gibt es meines Erachtens für einen Mann überhaupt keine 
Zwangslage. Aber, abgesehen hievon, man hat von Zwangslage gesprochen, und 
hat sich auf die Parteiungen in Baiern berufen. Ja, gestern erst wurde von 
Sr. Ercellenz dem Herrn Staatsminister des Aeußern ausgesprochen: 
„Wenn eine Partei an Macht besonders gewonnen hat, so muß die Regierung 
ihr nachgeben.“ Meine Herren! Diese Worte waren mir sehr auffallend, 
denn wie steht es denn mit den baierischen Verbältnissen! Man hat aller- 
dings behauptet, & der Baiern wollen den Eintritt in den Norddeutschen 
Bund; allein den Beweis hiefür hat man noch nicht geliefert, und ich hoffe, 
man wird ihn nicht liefern. Aber wie steht es, und wie stand es denn 
thatsächlich nach den gemachten Erfahrungen mit den Parteiverhältnissen in 
Baiern? Sie wissen, bis zu dem Jahre 1868 und 69 hat die Partei, die 
hier unter Ihnen vertreten ist. fast ausschließlich dominirt, die Fortschritts- 
partei und, mit ihr vereinigt, die Mittelpartei waren allein maßgebend in 
der Kammer (Rufe: „Sie waren nicht geeinigt.“) Das baierische Volk hat 
bis dorthin sich nicht geregt, aber in den Wahlschlachten, die gekämpft worden 
sind erst für das Zollparlament in Berlin, dann im Mai für die baierische 
Kammer, endlich im Nevember wieder für die baierische Kammer, hat im 
Volke eine Partei, wenn Sie es so nennen wollen, sich geltend gemacht, die, 
offenkundig weitaus das Uebergewicht in Baiern gehabt hat; und trotzdem 
daß man die schärfsten Mittel anwendete, um dieser Partei das Feld auf 
allen Punkten zu beschränken, trotzdem hat diese Partei glänzend gesiegt, und, 
meine Herren, die Partei eristirt noch, und wenn unsere Staatsregierung 
deser Partei bisher zu wenig Rechnung getragen hat, was ich nicht billigen 
kann, so glaube ich, ist sie verpflichtet nach dem Ausspruche des Ministers 
selbst, dieser Partei jetzt Rechnung zu tragen. Thut aber die Regierung das, 
dann ist Baierns Selbstständigkeit gerettet, umsomehr als von allen Seiten 
anerkannt ist, anerkannt von Versailles und von hier, daß ein Bruch nicht 
stattfindet. Aber man spricht von blauen Missionären, die kommen werden, 
und die dann nicht blos bitter sich beklagen werden darüber, daß wir un- 
deutscher Gesinnung gewesen seien. Meine Herren, von diesen blauen Missio- 
nären fürchte ich nichts. Wenn ich auch keinen Brief aufzuweisen habe von 
einem solchen Missionär, so sind mir doch Acußerungen zu Ohren gekommen, 
die auf nichts weniger hindeuten, als auf das Verlangen, daß Baiern in 
Zukunft eine Provinz eines andern Staates sei. Und, meine Herren, wenn 
man gar die Aeußerung gethan hat, daß das Militär, daß die Soldaten, die 
im Felde jetzt mit solcher Selbstaufopferung, mit solcher Mannhaftigkeit und 
bewunderungswürdiger Ausdauer für Deutschlands Ehre kämpfen, berechtigt 
seien, ein entscheidendes Wort zu reden über die künftige Gestaltung Deutsch- 
lands, dann muß ich auf etwas Anderes aufmerksam machen. Wenn ich auch 
alle Verdienste unseres Militärs vom Untersten bis zum Obersten anzuerken- 
nen keinen Augenblick mich besinne, so kann ich nie und nimmer zugeben, 
Natertallen UI. 44
	        
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