694 Balern. Kammer der Abgeordneten.
wurde damals als ein Mißrerständniß bezeichnet, und ich will nicht darauf
zurückgreifen. Aber, meine Herren, ich erlaube mir dem geehrten Herrn
Redner zu erwiedern: ich bin mir bewußt, daß ich von demselben Hochge-
fühle für die Verfassung Baierns und die politische Stellung Baierns er-
füllt bin wie er. Aber dieses Hochgefühl hindert mich nicht, den Thatsachen
Rechnung zu tragen, die ich nun einmal nicht aus der Welt schaffen kann.
Ja, es ist wahr, Baiern war im Deutschen Reiche ein bevorzugtes Glied,
und das soll es auch nach den Verträgen sein, die uns vorliegen. Oder soll
ich Ihnen den Beweis dafür liefern? Es ist von anderer Seite schon be-
merkt worden, daß die Stellung, welche Baiern durch diese Verträge er-
halten hat, auf einigen Seiten Neid erregt hat, und Sie wissen Alle, daß
diese Stellung im Norddeutschen Reichstag vielfach besprochen und als unbe-
rechtigt bezeichnet worden ist. Meine Herren, die Vorzugsrechte und die
Ausnahmsstellung, welche Baiern eingeräumt ist, beruht auf zweifachen Grund-
lagen. Ein Theil dieser Vorrechte gründet sich auf den Umstand, daß Baiern
die zweitgrößte Macht in dem zu schaffenden Bunde ist, und diese Vorrechte
haben aus diesem Gesichtspunkte gewiß ihre volle Begründung; ein anderer
Theil der Vorrechte, die Baiern eingeräumt sind, beruht auf hhatsächlichen
Verhältnissen, die man ohne die tiefste Schädigung der eigenen Interessen
Baierns nicht ignoriren darf. Sie werden mir wohl zugeben, daß auch
diese Vorrechte ihre Berechtigung haben. Daß diese Vorrechte uns gesichert
bleiben, dafür hat die Verfassung Vorsorge getroffen. Einmal können die
in der Stellung Baierns liegenden Vorrechte nicht ohne dessen Zustimmung
beseitigt werden, und die aus der Natur der Verhältnisse begründeten Vor-
rechte unterliegen, wenn sie aufgegeben werden sollen, den erschwerenden Be-
stimmungen der Verfassungsurkunde über Verfassungsänderungen. Es ist
wahr, meine Herren, Baiern hat Großes geleistet, und es hat mir sehr wehe
gethan, als im Ausschusse die Aeußerung fiel, Baiern habe noch nie etwas
Großes thervorgebracht. Baiern allein in ganz Deutschland hat ein unge-
störtes Verfassungsleben von mehr als 50 Jahren hinter sich, in welchem
nicht ein schwarzes Blatt enthalten ist, nicht eine Octroirung, nicht eine Ge-
sctzesverletzung, die von irgend einer Bedeutung wäre. Darin, meine Herren,
finden wir unsern Stolz und darum finde ich, daß Baiern wirklich etwas
geleistet hat. Der Herr Abgeordnete Greil hat darauf hingewiesen, daß
Baiern auch durch einen hochherzigen König die Initiative zum Zollverein
gegeben, daß es großartige Verkehrsmittel ins Leben gerufen, daß es Kunst
und Wissenschaft gefördert hat. Ja, meine Herren, es ist wahr, daß Baiern
zur Schaffung des Zollvereins wesentlich beigetragen hat, aber daß der ge-
ehrte Herr Vorredner darin ein besonderes Verdienst findet, das begreife
ich nicht. Wissen Sie denn, meine Herren, warum wir heute da stehen wo#
wir stehen? Wissen Sie denn, welches der Ausgangspunkt ist für die Ge-
staltung Deutschlands im Sinne der vorliegenden Verträge? Der Zollverein,
meine Herren, ist der Boden, auf dem Deutschlands Neugestaltung aufge-