712 Baiern. Kammer der Abgeordneten.
die Gesetzgebungs-Faktoren übereinstimmen; und wenn auch z. B. bei uns
und in Preußen das Herrenhaus und das Abgeordnetenhaus, Reichsrath und
Landtag übereinstimmen über ein Gesetz, so kann dasselbe doch nicht Gesetzes-
kraft erhalten, wenn nicht der dritte Faktor, nämlich die Staats-
regierung auch ihre Einwilligung dazu gibt. Die Staatsregierung
hat deshalb in jeder konstitutionellen Monarchie den Gesetzesvorschlägen ihres
Landtages gegenüber das Recht des absoluten Veto, wenigstens hat sie
es unzweifelhaft in Preußen, und sie hat es auch in Baiern. Und dieses
Recht, meine Herren, wollte man in die Bundesverfassung übertragen, d. h.
man wollte nichts Anderes bestimmen, als: Es kann ein Gesetz über
die Kriegsmarine und das Militärwesen, das eine Veränderung
des bisherigen Zustandes involvirt, blos dann zu Stande kom-
men, wenn die Krone Preußen die Zustimmung gibt, und wenn
sie sie nicht gibt, dann kommt eben ein solches Gesetz einfach nicht zu Stande.
Das ist der Charakter des sogen. Veto, wie es der Art. 5 der Bundesver-
fassung der Krone Preußen in Militärsachen zuschreibt. Es wäre eigentlich
nicht einmal nothwendig, meinem Gefühle nach, daß man diese ganze Aus-
einandersetzung acceptirt, denn schon aus der Natur des Veto selbst geht
meine ganze Argumentation mit logischer Nothwendigkeit hervor. Mit dem
Veto nemlich ist es absolut ganz unmöglich, einen nicht bestehen den
Zustand zu schaffen, etwas Vergangenes zu reproduziren, man kann — das
liegt schon im Begriffe des Veto — nur den Eintritt eines anderen Zustandes
unmöglich machen. Sie können mit dem Veto nicht bewirken, daß das, was
nicht Gesetz ist, Gesetz wird, sondern nur verhindern, daß Etwas zum Gesetze
gemacht werde, was Derjenige, der das Veto einlegt, nicht haben will. Nun,
meine Herren, bestimmt der Artikel 60 der Verfassung des Norddeutschen
Bundes: die Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres wird bis zum 31. De-
zember 1871 auf 1 Prozent der Bevölkerung normirt, für spätere Zeit wird
die Friedenspräsenzstärke des Bundesheeres im Wege der Bundesgesetzgebung
festgestellt. Ich kann mir nicht denken, meine Herren, daß unter Juristen
Steeit darüber bestehen kann, daß mit dem 31. Dezember 1871 diese gesetz-
liche Bestimmung ex lego hinfällig wird, d. h. die gesetzliche Bestim-
mung hört von selbst auf und kann blos dann weiter fortgesetzt
werden, wenn ein ausdrückliches Gesetz sie weiter fort setzt. Wir
haben in cinem unserer Gesetze eine ganz ähnliche Bestimmung, wir haben
die Bestimmung in unserem Wehrgesetze, daß der Formationsstand der Armee
auf einen bestimmten Prozentsatz bis zu dem und dem Tage festgesetzt werde.
Die baierische Regierung kann es durch Einlegung ihres Veto nicht mäöglich
machen, daß dieser Zustand, der nach unserem baierischen Wehrgesetze am
31. Dezember 1871 ex lege sein Ende erreicht, fortdauere. Sie könnte es
nur unmöglich machen, daß das neue Gesetz über diesen Gegenstand zu
Stande kommt, und gerade das ist die Rolle, welche der preußischen Regie-
rung im Bundesrathe zugetheilt ist. Denken Sie sich einmal die Verhält-