Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

724 Baiern. Kammer der Abgeordneten. 
einer constituirenden — verstehen Sie mich aber wohl, einer wirklichen 
constituirenden — Versammlung vorbehalten, allein war denn das im gegen- 
wärtigen Laufe der Dinge möglich? Ich spreche nicht daron, ob während 
des Krieges eine Versammlung hätte zu Stande kommen können oder nicht. 
Die preußische Regierung, die Bundesregierungen hatten es seiner Zeit vor- 
gehabt, die frühere Norddeutsche Bundesverfassung einem constituirenden 
Reichstage vorzulegen, allein schon der preußische Landtag ist darauf nicht 
eingegangen sondern hat den constituirenden Reichstag in einen lediglich be- 
rathenden verwandelt. Und Sie, meine Herren, würden Sie Ihre Zustim- 
mung zu einem Reichstagswahlgesetze gegecben haben, welches Ihnen im vorne- 
herein die Hände gebunden hätte, welches einen wirklichen constituirenden 
Reichstag hergestellt hätte, an dessen Beschlüsse Sie dann auch ohne Ihre 
nachträgliche Znstimmung gebunden gewesen wären? Ganz gewiß nicht! Es 
ist das Etwas, was weder die Regierung noch die Volksvertretung in Baiern 
gethan haben würde. Das ist meine Auffassung in der Sache. Nun ist 
aber der Artikel 78, den man von der andern Seite so sehr fürchtet, auch 
für mich ein Gegenstand des schwersten Bedenkens geworden und ich sage 
Ihnen aufrichtig, mir ist es gerade so wie manchen Abgeordneten des Nord- 
deutschen Reichstages ergangen — gerade der Artikel 78 in seiner Abände- 
rung durch den baierischen Vertrag läßt mir eigentlich die Bestimmung der 
Bundesverfassung und hat mir sie im ersten Augenblick als solche erscheinen 
lassen, welche schwer zu acceptiren ist. Den früber hat es einer Minorität 
von blos 1 Stimmen im Bundesrathe bedurft, um jeden Beschluß des Reichs- 
tages auf Grund des Artikel 78 zu verhindern; das ist aber jetzt wesentlich 
anders geworden. Durch den baierischen Vertrag ist festgesetzt worden, daß 
ein Beschluß auf Grund des Artikel 78 nur dann gefaßt werden kann, wenn 
alle Stimmen über 14 im Bundesrathe dafür stimmen, oder mit andem 
Worten, daß 14 Stimmen im Bundesrathe jedes Zustandekom- 
men eines Beschlusses auf Grund des Artikel 78 hindern kön- 
nen. Das, meine Herren, ist auch ein Veto, welches diesen 14 Stimmen 
eingeräumt worden ist. Ich halte nun dafür, daß durch diese Bestimmung es, 
— ich will nicht sagen nahezu unmöglich — aber doch außerordentlich schwer ge- 
macht wird, eine Weiterbildung der Bundesverfassung in dem Sinne, in 
welchem der Reichstag, das Parlament sie wünschen würde, vorzunehmen. 
Ich beruhige mich über diese Bestimmung nur mit einer Erwägung, und das 
ist die, daß wenn wirklich die gesammte Deutsche Nation die Enweiterung 
der Kompetenz der Bundesverfassung wollen wird, wenn in dem einen Punkte 
das Bedürfniß unwiderstehlich empfunden werden wird, daß auch dann 
diese 14 Stimmen kein Hinderniß sein können; sie werden eine große Er- 
schwerung sein, aber sie werden einem solch allgemeinen Drange der Nation gegeu- 
über kein absolutes Hinderniß sein. Man hat gerade aus diesem Artikel 78 und 
verwandten Bestimmungen die Befürchtung geänßert, daß wir uns nur in 
einem Uebergange zum Einheitsstaate befinden, daß die gesammte Norddeutsche
	        
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