Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

762 Baiern. Kammer der Abgeordneten. 
Beziehnng. Meine Herren, wir bekommen durch den Eintritt in ein großes 
und einiges Demschland eine Stellung, wie wir uns an eine solche nicht er- 
innern können, — jeder Einzelne von uns gewinnt eine total veränderte 
Weltstellim. Glauben Sie nicht, daß die Handelsbeziehungen des gesamm- 
ten Deutschlands ganz anders sich gestalten werden, wenn hinter dem ein- 
zelnen strebsamen Manne die ganze Macht Deutschlands steht? Das war 
bis jetzt nicht so. Oder können wir eine Stellung auch von einem isolirten 
Baiern hoffen? Wird nicht die transmarine Verbindung einen mächtigen 
Rückschlag üben auf Handel, Gewerbe umd Industrie durch ganz Deutschland 
hin, und wenn in dieser Weise der Wohlstand sich hebt, hebt sich denn nicht 
auch die geistige ganze Cultur? Meine Herren! Es liegen in der Entwicklung 
Deutschlands in der nächsten Zeit auch große innere Fragen, die zum Austrag 
kommen müssen, z. B. die Frage über das Verhältniß von Staat und Kirche, 
von Staat, Kirche und Schule. Ja, meine Herren, diese Fragen werden in 
einem solchen Stätchen, wie das unsere ist, nicht mehr zum Austrag gebracht, 
sie können nur in großem Style behandelt und gelöst werden, und dazu 
müssen wir auch ein großes Vaterland haben. Könnten Sie die Verant- 
wortung auf sich nehmen, Baiem abzuschneiden von dieser Entwicklung, daß 
es keinen selbständigen lebendigen Antheil daran nehmen könnte? Und noch 
Eines! Darf denn auf dieser Seite des Hauses nicht auch ein Laut der 
Sehnsucht sich vernehmen lassen, daß auch wir nach dem großen, mächtigen 
Deutschen Vaterlande verlangen, daß auch wir die Gelegenheit, die jetzt ge- 
geben ist, nicht mit Füßen von uns stoßen sondern sie freudig ergreifen 
wollen? Dürfen wir nicht auch statt des ewigen Mißtrauens, statt der kalten 
Berechnung Glanbe und Vertrauen an dessen Stelle setzen, dürfen die Gefühle 
der Versöhnlichkeit keinen Platz bei uns greifen? Ja, es ist wahr, wir haben 
viel zu vergessen, aber, meine Herren, darf denn die Versöhnung nicht darüber 
den Sieg erlangen, dürfen nicht auch wir die Hand hinstrecken und sagen, 
es soll rergeben und vergessen sein! Meine Herren! Es ist richtig, die 
Verträge sind die Grundlagen eines Baues, der uns noch nicht recht behagt, 
der auch in seinen einzelnen Theilen noch sehr unrollkommen ist. Ja, meine 
Herren, wir sind berechtigt, uns an die k. Staatsregierung zu wenden 
und die Erwartung auszusprechen, daß sie ihre Thätigkeit und ihren Einfluß 
im Bundesrathe dahin anwende, daß die föderativen Keime, die doch vor- 
handen sind, sorgfältig gepflegt werden. Auch wir wollen Theil nehmen an 
der Arbeit des ganzen deutschen Velkes in seiner Vertretung, um uns das 
Haus so wohnlich als möglich zu gestalten. Meine Herren! Es ist wahr, 
die Freiheit unseres Vaterlandes hat keinen Werth, sie kann nicht zur Gel- 
tung gelangen, wenn ihr die Einheit mangelt und umgekehrt. Es ist das- 
selbe Verhältniß, wie zwischen rechtloser Macht und machtlosem Recht. Nun, 
meine Herren, Thatsfache ist es, daß uns der Norden, daß uns die nordischen 
Brüder die Einheit gebracht haben. Pflanzen wir auf diesen kräftigen 
Schößling das Edelreis der Freiheit, dann wird der ganze Baum veredelt
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.