794 Baiern. Kammer der Abgeordneten.
Standpunkte wie Seine Ercellenz Herr Staatsminister v. Lutz. Er hat uns
gesagt: wir sollen eintreten in der Hoffnung auf bessere Zeiten, und
ich sage: wir wollen draußen bleiben in der Hoffnung auf bessere
Zeiten. Aber, meine Herren, man hat namentlich einen Satz meines Re-
fcrateo hervorgehoben, der sagt: „wir stchen nicht am Ende einer großen
Eutwicklung sondern am Aufang einer großen Entwicklung“ — und man
bat mich gefragt, was ich damit sagen wolle. Nun, meine Herren, man
verlangt vielleicht mit Recht ren mir Auskunft darüber, und ich stehe nicht
an dieselbe zu geben. Vor allem muß ich mich abwehrend verhalten, wenn
man diesen Worten die Deutung etwa unterlegen wollte, — wenn ich nicht
irre, ist dies wirklich gescheben, wenigstens anomm — daß ich darauf warte,
es könnte vom Auslande her das Deutsche Reich wieder zertrümmert werden,
oder ed kênnte so kommen, daß in dem großen Krieg endlich wir allein die
Besiegten sein und die Zeche bezahlen würden. Dieser Gedanke liegt mir
außerordentlich ferne! Es ist ein ganz anderer Gedanke, meine Herren, der
mich auch hier wiede# vor ein „Entweder oder" stellt. Ich sage, meine
Herren, entweder bekommt die europäische Menschheit wieder eine neue Ord-
nung der internationalen Verhältnisse, entweder bekommt sie wieder völker-
rechtliche Rechtszustände — oder nicht. Im ersten Falle, meine Herren, würde
das Baiern, das ich meine, ohne allen Zweifel von dieser Rechtswohlthat
auch profitiren; es würde dann, wie es ja lange gewesen ist, unter dem
Schutze des internationalen curopäischen Rechtes stehen. Der Gedanke, meine
Herren, tritt bei mir nicht zum ersten Male in den Vordergrund. Ich
glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, ich habe in diesem hohen Hause
nie in einer großen politischen Frage das Wort ergriffen, ohne daß ich nicht
am Ende auf die unbedingte Nothwendigkeit hingewiesen habe, daß die zer-
trümmerten, zerstörten Rechtszustände unseres Welttheils einer neuen Ordnung
dringend bedürftig seien. Novus nascitur sneclorum ordo! Das war der
Schluß meines ersten Vortrages, den ich vor Ihnen gehalten habe. Meine
Herren! Es kann am Ende Niemand läugnen, daß das menschheitliche In-
teresse nach einer solchen Neubildung laut aufschreit. Nicht nur der Einzel-
mensch ist für die Gesellschaft geschaffen, auch die Nationen sind für die Ge-
sellschaft geschaffen, und, meine Herren, gerade der ältere Liberalismus, der
feinere, der geistigere Liberalismus hat das sehr wohl gewußt, und es ist in
dieser Richtung erst anders geworden, nachdem die materialistische Wcltan-
schauung leider auf dic liberale Richtung vielfach vergröbernd eingewirkt hat.
Ich wiederhole, meine Herren, das Interesse der europäischen Menschheit
schreit nach einer solchen Neubildung und ich glaube mich nicht zu irren,
das Ohr Preußens ist diesem Aufschrei auch nicht verschlossen, wenigstens
nicht mehr verschlossen, wenn es auch wirklich eine Zeit lang verschlossen
gewesen sein sollte. Bekommen wir eine solche europäische Rechtswohlthat
nicht, was wird die Folge sein? Soll ich Ihnen das sagen: die Völker Eu-
ropa's müssen dann Jahr aus Jahr ein bis an die Zähne bewaffnet Ge-