Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Jürg- 799. 
hundert Jahren. Dieses Volk ist für den Frieden geboren, es ist den Frie- 
den gewohnt, und es wird unendlich bitter fühlcn, was es heißt, das dienende 
Glied eines großen Militärnationalstaats zu sein. Aber ich will Sie nicht 
länger aufhalten. Ich wiederhole: „Wir können nicht, was Sie von uns 
verlangen.“ Berufen Sie sich an das Volk, es möge andere Hände schicken; 
die unfrigen beben zurück, sie werden das Grab nicht graben, wie man es 
von uns verlangt. Stimmen Sie gegen die Verträge, ich bitte Sie darum, 
(Bravol) 
Minister v. Lutz'): Meine Herren! Vieles haben Sie gehört für und 
wider die Verträge, die Ihrer Zustimmung harren. Ein reiches Material 
liegt zur Sichtung, zur Abwägung vor Ihnen, Ihre Aufgabe ist es jetzt, 
den richtigen Schluß zu ziehen. Auch ietzt noch bin ich der Meinung, daß 
dieser Schluß kein anderer sein kann als der, daß die Annahme der Ver- 
träge das Rechte, das einzig Richtige für unser Vaterland ist. Schenken 
Sie mir, ich bitte Sie, auch trotz der vielen Zeit, die der Sache bereits ge- 
widmet ist, und obwohl Ihre Geduld schon so sehr in Anspruch genommen 
worden, noch einige Nachsicht, wenn ich einen Blick auf die Verhandlungen 
werfen und den Versuch machen werde, meine Ansicht des Näheren zu be- 
gründen. Sie werden es begreiflich finden, wenn ich mich bei meinen Gr- 
örterungen zunächst gegen den Herrn Referenten wende, gegen sein schrift- 
liches Referat und die Ergänzungen desselben in mündlicher Rede. Im Ein- 
gange seines schriftlichen Vortrages hat der Herr Referent einen Rückblick 
auf die Stellung geworfen, welche die Regierung in der Sache eingenommen 
hat. Während ich bei meinen Mittheilungen gelegentlich der Vorlage der 
Verträge, in der Voraussetzung, daß es mir nicht obliegt, auf längst Be- 
kanntes zurückzukommen, nur zwei Stadien der Verhandlungen unterschied, 
zuerst nämlich die Zeit während der Verhandlungen mit dem Minister Del- 
brück in München zu Ende September und dann die Zeit der Verhandlungen 
in Versailles sowie des Abschlusses der Verträge, hat der Herr Referent 
auf ein drittes Stadium Bezug genommen: auf die Zeit des Beginnes des 
Krieges. Der Herr Referent führt aus, daß die Regierung zu jedem 
dieser Zeitpunkte anders gedacht und gesprochen habe, und forscht mit Eifer 
nach den Motiven, welche die Regierung dabei geleitet haben können. Was 
der Herr Referent eigentlich damit will. weiß ich nicht; ob er vermuthet, 
es sei trotz unserer Versicherungen doch ein ganz besonderer Zwang an uns 
geübt worden oder ob er gar andere unaussprechliche Motive argwöhnt — 
ich komme darüber nicht ins Klare. Freilich, wenn wir uns sagen, daß bei 
Betrachtung der Verträge, die wir abgeschlossen haben, dem Herrn Abgeord- 
neten Greil jener Minister eingefallen ist, der seinen König verrathen hat, 
— freilich wenn dem Herrn Abgeordneten Ruland das Citat jenes Schrift- 
*) St. B. S. 361. 81. Sitzung vom 21. Jannar 1871.
	        
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