Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

814 Balern Kammer der Abgeordneten. 
nicht über alle Berge hinweg sind, wenn die Verträge nicht angenommen 
werden, — das, meine Herren, ist meiner innigen Ueberzeugung nach sehr wohl 
begründet. Die Verträge sind geschlossen mit Contrahenten, welche aufgehört 
haben als solche zu erxistiren. Die Rechtspersönlichkeiten mit denen der Zoll- 
verein im Jahre 1857 geschlossen worden ist, eristiren in ihrer früberen 
Eigenschaft nicht mehr. Würtemberg, Baden, Hessen sind in diesem Augen- 
blicke nicht mehr in der Lage einen ähnlichen Vertrag abzuschließen, und 
meine Herren, ich weiß nicht, ob es großer juristischer Deduktionen bedürfte, 
um Ihnen zu sagen, daß hiemit auch die Forteristenz der Verträge aus 
juristischen Gründen gefährdet ist. Ich getraue mir nicht zu behaupten, daß 
es unmöglich wäre, eine Controverse an diese Erwägungen anzuknüpfen. So, 
meine Herren, läßt es sich meines (EFrachtens sehr wohl hören, wenn man im 
Jahre 1870 und 1871 schon auf das Jahr 1877 hinblickt, und schon nach 
dem, was im Jahre 1877 geschehen kann und wird, jetzt bie Politik einrichtet, 
ganz abgesehen davon, daß in der Politik sebr häufig der Vorwurf der Kurz- 
sichtigkeit erhoben wird und daß dieser Vorwurf da begründet ist, wo man 
nur die allernächste Zukunft vor Augen hat, und den Blick in die fernere 
Zukunft scheut. Man hat gesagt: weder im Jahre 1877 und noch weniger 
jetzt wird man daran denken dürfen, daß Preußen so undankbar tst, uns den 
Zollverein zu künden. Meine Herren! Meiner Ueberzeugung nach bedarf 
es gar keiner Undankbarkeit Preußens. Es gibt da noch andere Motoren, 
die die Kugel in's Rollen bringen könnten, den Rcichstag, und, meine Herren, 
— wir mögen es gerne hören oder nicht — auch die deutschen Brüder in den 
anderen Staaten werden, glaube ich, die Sache übel ansehen, wenn wir uns 
von der Gemeinschaft mit ihnen ausschließen. Ich glaube, die preußische 
Regierung wird nicht aus eigenem Entschlusse undankbar zu sein brauchen, 
es könnte sehr leicht kommen, daß sie zur Undankbarkeit genöthigt wird. Sie 
braucht jedenfalls nur geschehen zu lassen, was geschehen will! Man wendet 
nun ein, ol schon aus wirthschaftlichen Gründen kann der Zollverein nicht 
gesprengt werden, ein sehr großer Mann hat das gesagt. Ja, er hat es 
gesagt, aber unter ganz anderen Zeitverhältnissen. Meine Herren, daß wenn 
Baden allein in den Bund ritt, dann der Zollverein nicht gesprengt werden 
kann, liegt auf der Hand. Das braucht Herr Graf v. Bismarck allerdings 
nur zu sagen, und es wird es ihm Jedermann glauben. Denn wenn es 
dann zur Sprengung des Zollvereins gekommen wäre, so wäre das Land 
mit seiner bekannten langgestreckten Configuration mitten in anderen wirth- 
schaftlichen Bezirken gelegen. Eine Fortsetzung des Zollvereins über die 
zwischen dem norddeutschen Bunde und Baden liegenden Länder weg, nach- 
dem Baden noch dazu nach Süden und Westen auch an andere wirthschaft- 
liche Gebiete anstößt — das war freilich unmöglich. Aber von diesen Gründen 
Zilt jetzt auch nicht ein einziger mehr. Setzen Sie den Fall, Baiern würde 
dem Bund nicht beitreten, dann würde das Reich und somit das Zollvereins= 
gebiet doch ein wohlgeschlossenes und für sich recht wohl bestehendes Gebiet 
bilden und in der That von einer Gefährdung Badens, von einer Pflicht
	        
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