842 Baiern. Kammer der Reichsräthe.
zweitenmale jene zweifelhafte Freiheit der Entschließung zu Theil wurde, be-
eilte es sich sofort, die gewonnene Selbstbestimmung im Allianzvertrage vom
22. August zum Opfer zu bringen angenscheinlich geleitct von dem Gedanken,
daß das Nationalgefühl des Deutschen Volkes cine andere Politik als die,
welche im Allianzvertrage Ausdruck gefunden hatte, nicht möglich machen
werde. Auch Sie, meine Hohen Herren, standen im Herbste 1867 vor einem
solchen Wendepunkte der baierischen Geschichte, als es sich um die Erneucrung
des Zollrereins und um Annahme oder Ablehmung der darauf bezüglichen
Verträge handelte. Sie haben sich in Ihrer Masorität damals nicht dazu
entschließen können, die Sonderstellung Baiems in wirthschaftlicher Beziehung
zu versuchen, die folgerichtig zur politischen Isolirung geführt hätte. Sie
haben nach ernsten Zweifeln Ihren Entschluß gefaßt und Sie haben zuge-
stimmt, weil eine undeutsche Politik in einem deutschen Staate nicht mehr
möglich war. Und als im Sommer dieses Jahres der entscheidende Augen-
blick an Sie herantrat, wo es zum letztenmale möglich schien, den Weg zu
betreten, der Baiern die Stellung des Jahres 1806 hätte zurückgeben können,
da haben Sic den Lockungen widerstanden, die eine Partei dem baierischen
Volke vormalte, die man mit Recht die vaterlandslose nennt. Sie haben die
Neutralität zurückgewiesen, die zur französischen Allianz geführt haben würde,
und haben mit einstimmigem Beschlusse den Weg betreten, der für uns nicht
allein der Weg der Ehre war sondern der auch für unsere Armee zum Wege
der Ehre und unrergänglichen Ruhmes geworden ist. Damals rief mir ein
politischer Gegner zu: „Nun ist das Deutsche Reich fertig!“ Und nicht des-
halb ist jene Voraussagung Wahrheit geworden, weil, wie ein Herr Vor-
redner gesagt hat, die Waffenbrüderschaft auch mit Nothwendigkeit die Unter-
ordnung unter den mächtigeren Alliirten zur Folge haben mußte, sondern
deewegen ist jenes Wort zur Wahrheit geworden, — weil das deutsche National=
gefühl in diesem Kriege eine Macht geworden ist und eine Gewalt erlangt
hat, vor welcher sich auch die Vorliebe für altgewohnte Verhältnisse beugen
muß, und vor welcher die Antipathie der deutschen Stämme gegen einander
verschwunden ist. Dieses Selbstbewußtsein der Nation ist aber keinc bloße
Abstraction geblieben; cs hat eine thatsächliche Grundlage gewonnen in der
emporsteigenden Macht des Hauses Hohenzollern. Wie die Machtstellung
Baierns im Deutschen Reiche hervorgewachsen ist aus dem Zerfalle der
Reichsmacht, so war die Stellung Baierns im Deutschen Bunde das Er-
gebniß des Dualismus. In der Rivalität der beiden deutschen Großmächte
lag das Lebeneprinzip der baierischen Selbstständigkeit während der letzten
50 Jahre. Als nun im Jahre 1866 der Erfolg der preußischen Waffen den
Bund gesprengt und Oesterreich aus Deutschland ausgeschlossen hatte, konnte
das Uebergewicht Preußens in Deutschland nicht länger zweifelhaft sein. Für
Baiern blieb seit jener Zeit nur die Wahl, sich entweder den Bemühbungen
Derjenigen anzuschließen, welche die Ergebnisse des Jahres 1866 durch erneute
Kämpfe vernichten wollten, oder zu versuchen eine den thatsächlichen Ver-