866 I. Session des deutschen Reichstages 1871.
stehenden Ländern allmählich wieder erwecken; erfreuliche Spuren
davon beginnen schon jetzt sich zu zeigen.
Mögen denn die Vertreter des Deutschen Reiches in treuer
Pflichterfüllung fortarbeiten, damit das neuc Deutsche Reich den
Erwartungen entspreche, die die Welt davon hegt! Mir bei Meinen
vorgerückten Jahren wird es nur noch vergönnt sein, an dem Grund-
bau thätig zu sein; aber ich vertraue, daß Meine Nachfolger in
gleichem Sinne und mit gleicher Innigkeit und Herzlichkeit daran
fortbanen werden.
Ich bitte Sie, Meine Worte und Meinen Dank dem Denutschen
Reichstage mitzutheilen. (Lebhaftes Braro.)
Mit Schreiben vom 21. März 1871 hatte der Bundeskanzler Fürst von
Bismarck im Namen Sr. Majestät des Kaisers dem Reichstage den Ent-
wurf eines Gesetzes, betreffend die Verfassung des Deutschen
Reiches nebst Motiven übermittelt).
Die Motive lauteten:
„Der Gang der Verhandlungen, welche zur Gründung des Deut-
schen Reiches geführt haben, hat zm Folge gehabt, daß das Verfassungs-
recht des letzteren in drei verschiedenen Urkunden enthalten ist, in der
zwischen dem Norddeutschen Bunde, Baden und Hessen am 15. Novem-
ber v. J. vereinbarten Verfassung, in dem Vertrage zwischen dem Norddeut-
schen Bunde und Baiern vom 23. November v. J. und in dem Vertrage
zwischen dem Norddentschen Bunde, Baden und Hessen einerseits und Wür-
temberg andererseits vom 25. November v. J.
Diese Zerstreuung der Giundlagen, auf welchen der politische Zustand
Deutschlands beruht, ist ein Uebelstand, welcher dadurch noch fühlbarer wird,
daß der Vertrag vom 23. November v. J. mehrere Bestimmungen der am
15. desselben Monats vereinbarten Verfassung nur ungenau wiedergeben
konnte und daß die dadurch herbeigeführte Inkongruenz wichtiger Vorschriften,
imgeachtet der vorforglichen Verabredung unter Nr. XV. des Schlusprotokolls
vom 23. November v. J. zu Mißverständnissen führen kann. Die Zusam-
menfassung der in diesen vier Urkunden enthaltenen Verfassungsbestimmungen
in einem einzigen Dokument ist daher ein nicht zu verkennendes Bedürfniß.
Es kommt hinzu, daß diese drei Urkunden bereits unterzeichnet waren
als die deutschen Fürsten und freien Städte auf die Initiative Sr. Majestät
des Königs von Baiern sich zu dem Wmische vereinigten, daß der erweiterte
Bund den Namen des Deutschen Reichs wieder aufnehmen und Se. Majestät
der König von Preußen die Präsidialrechte unter dem Namen des Deutschen
Kaisers ausüben möge. Diese Lage gestattete es nicht, die einzelnen Be-
stimmungen der Verfassung entsprechend zu ändern; man mußte sich beguü-
*) Drucks. Nr. 4
#) S. 21.