Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Soltowekt. Art. 1. 879 
Konsequenzen anzunehmen. Meine Herren, in der Thronrede sind folgende 
Worte ausdrücklich aufgenommen: „Die Achtung, welche Deutschland für 
seine eigene Selbstständigkeit in Anspruch nimmt, zollt es bereitwillig der 
Unabhängigkeit aller anderen Staaten und Völker, der schwachen wie der 
starken“. In diesem erhabenen Worte erblicken wir nun, meine Herren, eine 
sichere Bürgschaft dafür, daß gleichzeitig mit der Neugestaltung des Deutschen 
Reiches auf nationalem Gebiete auch unsere gerechten nationalen Forderungen, 
namentlich die uns Dentschland gegenüber durch die Wiener Kongreßakte 
feierlich gewährleistete nationale Sonderstellung wieder zur Geltung gelangen 
werden. Das Bepnußtsein dieser unserer nationalen Sonderstellung den 
deutschen Stämmen gegenüber hat sich übrigens auch in diesem hohen Hause 
neulich kund gegeben, indem Sie nämlich bei der letzten Adreßdebatte kein 
Mitglied der polnischen Fraktion weder zur Vorberathung des Adreßentwurfs 
in der Seniorenversammlung hinzugezogen noch in der Adreßdebatte selbst 
sich haben betheiligen lassen; dadurch haben Sie, meine Herren, mit uns 
anerkannt, daß es für Polen zu einem deutschen Parlamente, wo specifisch 
deutsche Interessen zur Sprache gebracht werden, keinen geeigneten Platz 
giebt. Wir hegen daher die Hoffnung, daß bei der jetzt vorgenommenen 
Regulirung der deutschen Verhältnisse die Proteste endlich berücksichtigt werden 
(welche seit dem Jahre 1848 unfsrerseits bei jedem Versuche einer Gebiets- 
erweiterung des Deutschen Bundes erhoben worden sind) gegen die Einver- 
leibung der unter preußischer Herrschaft stehenden polnischen Landestheile in 
den Norddeutschen, respektive in den Deutschen Bund. Wir hätten zwar 
gewünscht, meine Herren, im Interesse Ihres eigenen Gerechtigkeitsgefühls, 
daß die Initiative zur Berücksichtigung unserer Proteste deutscherfeits ergriffen 
worden wäre; wir hätten gewünscht, daß deutscherseits Ihre Inkompetenz 
anerkannt worden wäre, über die Aufhebung der uns durch internationale 
Verträge gewährleisteten nationalen Rechte einseitig zu statniren. Dieser 
Wunsch ist indessen nicht in Erfüllung gegangen; bei der Redaktion des 
Gesetzentwurfes ist vielmehr unser nationaler Standpunkt ganz und gar außer 
Acht gelassen worden und wir im Verhältniß zum Deutchen Reich den 
preußischen Unterthanen deutscher Nationalität gleichgestellt. Wir aber, meine 
Herren, so schwach wir auch der Zahl nach Ihnen gegenüber sein mögen, wir haben 
doch das Recht und die Pflicht, für die Aufrechterhaltung der uns garan- 
tirten nationalen Sonderstellung Sorge zu tragen, und wir können uns 
daher unmöglich init einem Verfassungsentmi zufrieden erklären, welcher 
das Werk der nationalen Konstituirung Dentschlands damit beginnt, daß er 
den Polen die ihnen auf Gumd internationaler Verträge unbestritten zu- 
stehenden Rechte verkennt. Meine Herren, diese Versammlung ist nicht die 
erste, der die wichtige Aufgabe zugefallen ist, über die Geschicke Deutschlands 
zu berathen. Wir erinnern uns ja Alle, wie vor kaum 20 Jahren eine andere 
Versammlung zu demselben Zwecke in Frankfurt zusammentrat. Mit enthu- 
siastischem Jubel wurde sie bei ihrer Entstehung in ganz Deutschland begrüßt;
	        
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