Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

880 I. Session des deutschen Reichstages. 1871. 
aber wie kläglich hat sie geendet! Und wissen Sie warum, meine Herren? — 
Weil dieselbe sich nicht zu der Höhe ihrer Aufgaben heraufzuschwingen ver- 
mochte, weil sie im Norden und Süden, im Westen und Osten, in Schles- 
wig und Tirol, in Limburg und Posen diejenigen Prinzipien der Nationalität 
nicht anerkennen wollte, zu deren Verwirklichung in Deutschland sie selber 
berufen worden war. Ich will nun, meine Herren, für Sie und für uns 
hoffen, daß diese zweite deutsche Versammlung einen ganz verschiedenen Weg 
einschlagen wird und daß sie das für sich selbst einmal anerkannte Prinzip 
auch anderen Nationalitäten gegenüber nicht verleugnen wird. Meine Herren, 
es haben sich in diesen Näumen bei der letzten Adreßdebatte mehrere Stimmen 
erhoben, um die Weisheit des erhabenen Ausspruchs: justitia fundamentum 
reguorum est zu preisen. Wochlan denn, meine Herren, mein Verbesserungs- 
antrag bietet Ihnen Gelegenheit, diesen Ausspruch praktisch in Anwendung 
zu bringen! Auch giebt Ihnen die Annahme dieses Verbesserungsantrags 
für die Zukunft eine viel bessere Gewähr der deutschen Einheit, als es irgend 
eine materielle Macht je zu thun im Stande wäre. Dezhalb glaube ich, 
meine Herren, daß Sic in Ihrem eignen Interesse selbst Motive genug finden 
werden, um für denselben zu stimmen. 
Bundeskanzler Fürst von Bismar“): Wir sind nicht zum ersten Male 
damit beschäftigt, die Prinzipienfragen zu erörtern, die der Herr Vorredner 
hier angeregt hat. Ich darf mich deshalb wohl auf eine kurze Erwiderung 
und auf die Stenographischen Berichte früherer Sitzungen des Reichstages 
sowohl wie des preußischen Landtages in Betreff des Nachweises der Unrich- 
tigkeit in dem vorliegenden Verbesserungsantrag und in den Worten des 
Herrn Redners beschränken und mich hier damit begnügen, die einzelnen dieser 
Unrichtigkeiten herrorzuheben und in Bezug auf die Motivirung meiner An- 
sicht auf die früher geltend gemachten Argumente zu verweisen. Ich bestreite 
dem Herr Vorredner und seinen Mitantragstellern zunächst das Recht, sich 
hier auf die Worte der Thronrede zu berufen. In der Thronrede ist die 
Rede von anderen Völkern und Staaten, deren Selbstständigkeit geschont 
werden soll. Die Herren gehören zu keinem anderen Staate und zu keinem 
anderen Volke als zu dem der Preußen, zu dem ich selbst mich zähle, und 
können Posen und Westpreußen, langjährige Bestandtheile der preußischen 
Monarchie, nicht zu denjenigen anderen Völkern und Staaten zählen, welche 
in der Thronrede gemeint sind. Es ist das eine der Fiktionen, die den Blick 
trüben und das Urtheil fälschen. Ich bestreite den Herren ferner das Recht, 
im Namen der Bevölkerung irgend eines preußischen Landestheiles zu sprechen, 
welches auch die Sprache dieser Bevölkerung sein mag. Ich will nicht daran 
erinnern, daß Sie gesetzmäßig hier nur die Gesammtheit des Volks und 
nicht einen einzelnen Landestheil vertreten und keine Spezialmandate haben 
*) St. B. S. 97 r. u.
	        
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