Art. 2. Grundrechte. Reichensperger. 901
staaten, ganz besonders im Staate Preußen, durch die Verfassungsurkunde
gewährleistet sind. Nun, meine Herren, wird man mir wohl einwenden,
daß es doch eine ungerechtfertigte Besorgniß sei, daß jemals ein Deutscher
Reichstag sollte freiheitsfeindlichen Gesetzen über Presse und Vereinswesen
seine Zustimmung geben; man wird vielleicht noch hinzufügen, daß selbst
wenn man diese Grundrechte aufnähme, eine absolute Garantie doch nicht
gegeben sei, daß dieselben nicht künftig wieder geändert würden, weil ja auch
Verfassungsänderungen durch einfache Majorität hier votirt werden können
und nur eine größere Majorität im Bundesrathe erforderten. Allein, meine
Herren, Sie werden mir doch Ihrerseits nicht bestreiten, daß der Stand-
punkt der Vertrauensseligkeit, des kindlichen Vertrauens in die Zukunft,
nicht der richtige ist, wenn es sich darum handelt, konstitutionelle, verfassungs-
mäßige Angelegenheiten zu reguliren, — daß namentlich eine Volksvertre-
tung die Pflicht hat, die desfallsigen Rechte des Volkes möglichst formell
sicherzustellen. Allein, meine Herren, ich muß hier leider auch aus einer
mehr als zwanzigjährigen Erfahrung aussprechen, daß das Vertrauen nach
jener Seite hin auch thatsächlich nicht berechtigt ist. In diesen Räumen,
wo wir sitzen, haben verhältnißmäßig schwache konstitutionelle Minoritäten
lange Jahre hindurch zu kämpfen gehabt für die Aufrechthaltung von Prin-
zipien unseres preußischen Rechtes. Und wenn wir damals es durchgesetzt
haben, im Wesentlichen die alten Prinzipien zu erhalten, dann verdanken
wir dies nur dem Umstande, daß diese Prinzipien wesentlich und fundamental
durch die Verfassungsurkunde selbft firirt waren. Es ist Thatsache, daß jede
auch sonst nicht allzurücksichtsrolle Majorität immerhin Respekt hat vor Dem-
senigen, was einmal verfassungsmäßig festgestellt ist; und darum lege ich
großen Werth darauf, daß man nicht derartige Rechte und Interessen im
Blauen stehen läßt, statt sie formell nach besten Kräften zu firiren. Allein,
meine Herren, der Deutsche Reichstag selbst hat bereits Gelegenheit gehabt,
die praktische Erfahrung zu machen, was es heißt, Kompetenzen und In-
stitutienen auf eine andere Behörde, auf den Bund, zu übertragen, ohne
gleichzeitig die desfallsigen Garantien und Veschränkungen mit übergehen zu
lassen. Im Dezember vorigen Jahres hat der Abgeordnete Duncker Be-
schwerde im Reichstage darüber geführt, daß durch die Proklamirung des Kriegszu-
standes preußische Grundrechte verletzt worden seien; und was ist ihm darauf
geantwortet worden? Der Abgeordnete Wagener (Neustettin) hat gesagt, diese
Beschwerde gehöre gar nicht zur Kompetenz des Norddeutschen Reichstages,
darum, weil die preußischen Grundrechte nicht in der Norddeutschen Bundes-
rerfassung ständen; man sollte sich desfalls an den preußischen Landtag und
an das preußische Ministerium mit seinen Beschwerden wenden. Das hat
der Abgeorduete Wagener gesagt mit demselben Athem, mit welchem er an-
erkennen mußte, daß die ganze Angelegenheit des Kriegszustandes lediglich
eine Bundesangelegenheit sei, und daß die kommandirenden Generale, welche
den Kriegszustand zu erklären haben, mit dem preußischen Ministerium in