Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

Art. 2. Grundrechte. Treitschke. 911 
der da glaubt, daß man nach amerikanischer Weise die Kirche wie einen 
Schachklub, wie einen Privatverein behandeln koönne, auf der andern Seite 
jene klerikalen Bestrebungen, welche nach belgischer Art, die Kirche zugleich 
privilegiren und vollkommen gleichberechtigt neben den Staat stellen wollen. 
So ganz verschiedene unklare Tendenzen wirkten zusammen und haben so 
jenen kahlen Artikel 15 der preußischen Verfassung geschaffen. Ich glaube 
aber, wir haben jetzt zwei Jahrzehnte politischer Erfahrung seit dem Erlaß 
der Verfassung und wollen beherzigen, was wir in jener Zeit gelernt haben. 
Ich bitte Sie, meine Herren, um des konfessionellen Friedens willen, geben 
Sie nicht einem beliebigen deutschen Landesbischof die Möglichkeit gegen 
seine Landesregierung den Rebellen zu spielen. (Murren im Centrum.) Ich 
sag mit Absicht dieses starke Wort Denn es würden Kontroversen entstehen, 
die sich gar nicht lösen lassen; jeder Bischof könnte, auf den Artikel von 
der Selbstständigkeit der Kirche gestützt, den bestehenden Landesgesetzen ge- 
radezu ins Gesicht schlagen. Auf solche Experimente foll es Niemand an- 
kommen lassen, der ein Herz hat für die Hoheit und den großen Gesittungs- 
beruf der katholischen, wie der evangelischen Kirche. Ich sage Ihnen, meine 
Herren, ich komme aus dem Süden Deutschlands und weiß, wie es gewirkt 
hat, daß die herrschsüchtigen Bestrebungen eines Theils der katholischen Geist- 
lichkeit ron der Masse des Volks mit dem Wesen der katholischen Kirche 
selber verwechselt wurden. (Sehr wahr!) Es gibt unter den süddeutschen 
Katholiken nur zu viele wackere Leute, welche meinen, daß der Kirchenhaß 
eine politische Gesinnung ausmacht. Lassen wir es nicht dahin kommen, daß 
diese Gesinnungen, die setzt in Belgien vorherrschen, auch auf deutschem 
Boden allgemein werden. Geben Sie nicht der kathohschen Kirche gefährliche 
Rechte, welche ihr schließlich selbst zum Verderben ausschlagen müssen! (Sehr 
richtigs) Und nun, meine Herren, noch ein letztes Wort über die Weise, 
wie wir diesen Antrag beseitigen wollen. Ich setze als selbstverständlich vor- 
aus, daß mit Ausnahme der Herren Antragsteller und ihrer nächsten Freunde 
alle Parteien des Hauses in der Verwerfung des Antrages einig sein werden. 
Es kommt mir hier nicht auf die Form an; ich werde für jede Weise der 
Ablehnung stimmen, von der man voranssehen kann, daß sie das gesammte 
Haus für sich gewinnt; es ist jetzt schon motivirt worden und wird später 
noch motivirt werden, warum wir diese Grundrechte so nicht annehmen wollen; 
wir haben also nicht nöthig, durch eine motivirte Tagesordnung dies der 
Nation noch einmal zu verkünden. Vor Allem Sie, meine Herren von der 
Fortschrittspartei, bitte ich dringend bei dem Entschluß zu bleiben, den der 
Herr Abgeordnete Schulze früher ausgesprochen hat; fürchten Sie nicht, daß 
Ihre demokratischen Wähler diesen Ihren Entschluß je verkennen könnten. 
Die deutsche Nation ist klar und rechtschaffen genug, um zu begreifen, daß 
diese sechs armen Artikel nicht Grundrechte sind, sondern ein Versuch, auf 
einem Seitenwege der katholischen Kirche eine selbstständige Stellung dem 
Staate gegenüber zu verschaffen, und darum werden Ihre demokratischen
	        
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