918 I. Session des deutschen Reichstages. 1871.
werden. Ich habe noch nie daran verzweifelt, daß dieses Prinzip der Gerech-
tigkeit auch uns Katholiken gegenüber zum Durchbruch kommen wird in
Deutschland, und daß Sie, meine Herren, zuletzt doch Ihres Gerechtigkeits-
gefühls wegen gezwungen sein werden, trotz mancher Vorurtheile uns diese
Stellung zuzuerkennen in Deutschland. Sie können nicht verkennen, daß wir
berechtigt sind in Deutschland zu eristiren, nach unserm Glauben zu
existiren, nach diesen Prinzipien unserer Kirche zu eristiren — inner-
halb der allgemeinen wahren Prinzipien im Staate. Und diese Grundsätze
müssen Sie anerkennen — uns gegenüber wie allen Anderen gegenüber, es mag
Ihnen lieb sein oder nicht. Auch darüber bitte ich noch um einige Worte,
und ich bitte, sie mit dem Wohlwollen aufzunehmen, wie ich sie mit der
redlichsten Absicht ausspreche. Es wird gewiß diese Debatte auch mit unend-
licher Aufmerksamkeit verfolgt werden im Elsaß! Verletzen Sie nicht die
religiösen Gefühle im Elsaß (Ohl links.) Ja, man kann doch religiöse
Gefühle verletzen!
Freiherr ur BRabenau: Sie verletzen sie durch das, was Sie sagen
wollen.
Freiherr v. Ketteler: Ich?
PFrästdent: Darf ich bitten, sich mit der Rede an das Haus zu wenden,
nicht an ein einzelnes Mitglied !
Freiherr v. Ketteler: Ich weiß nicht, wie ich die religiösen Gefühle
der Elsässer verletzt haben sollte.
Freiherr zur Rabenau: Das werde ich Ihnen nachher nachweisen, —
wenn ich zum Worte komme.
Präsident: Ich bitte, den Redner nicht zu unterbrechen.
Freiherr v. Ketteler (fortf.): Ich denke, meine Herren, darauf sollten
Sie in wohlwollender, gerechter Weise Rücksicht nehmen. Die Elsässer
sind ihrer großen Majorität nach ein ihrer Kirche und ihrem Glauben treu
anhängendes Volk. Treten Sie diesem unberechtigten Urtheil entgegen, daß
man nicht mit Deutschland verbunden werden kann, ohne in religiöser Hin-
sicht in irgend einer Beziehung, wenn man Katholik ist, beeinträchtigt zu
werden, — treten Sie dem dadurch entgegen, daß Sie innerhalb der allgemeinen
Gesetze die Selbstständigkeit und Freiheit der kirchlichen Bekenntnisse prokla-
miren, — und Sie thun dies, wenn Sie unsern Antrag annehmen! (Bravol
im Centrum.)