920 I. Session des deutschen Reichstages. 1871.
eben geschlossenen Verträge. Meine Freunde und ich, wir wollen diese Ver-
träge nicht durchlöchern und durchfetzen, wir wollen die Zeit abwarten, bis
die Einzelstaaten durch ibre berechtigten Vertreter die Lösung dieser Fragen
im Reiche beantragen und anstreben werden. Hüten wir uns, in den Beginn
des Reiches den Hader hineinzutragen, der stets zur Schwächung und Zer-
splitterung desselben geführt hat! Hegen und pflegen wir, was uns eint,
was uns trennt, wird dann nimmermehr von langer Dauer sein können!
Durch die Freiheit, durch die Treue kommen wir zur Einheit, das ist der
beste und rechte Weg. In seltener Vertragstreue haben nun unserc süd-
deutschen Brüder mit und neben uns gerungen und gestritten in dem heißen,
gewaltigen Kampfe, der kaum vorüber ist; sie haben uns geholfen die Früchte
zu pflücken und einzuheimsen, an denen wir uns Alle lange zu erquicken ge-
denken. Ebenso muß nun auch das Wort, das wir ihnen verpfändet in
feierlicher Uebereinkunft, unverbrüchlich gehalten werden, damit der Nord-
deutsche sich würdig erweise und ebenbürtig dem Stammesgenossen an Ehre
und Treue; (Bravo!) und um dieser Treue allein willen müssen wir den
Antrag ablehnen und es dem ganzen Lande sagen, warum wir es thun —
offen, ehrlich, klar. Ich bitte Sie, für die von uns vorgeschlagene Tages-
ordnung zu stimmen. (Lebhaftes Bravo.)
Greil aus Passau (Passau) "): Meine Herren! Die Mahnung, welche
der erste Herr Redner im Laufe seiner Rede ausgesprochen hat, nämlich keine
fremdartigen Dinge in die Debatte hineinzuzichen, hat, wie Sie eben gesehen
haben, nicht ganz Erfolg gehabt. Ich finde es als etwas Fremdartiges,
auszusprechen, daß diejenigen Männer, welche „dafür gewirkt oder gestimmt
haben, daß die alte bischöfliche Verfassung dem Absolutismus Platz machen
müsse", hierher gezogen werden. Ich betrachte das als etwas Fremdartiges
und spreche mich deswegen auch nicht näher aus und beweise nicht, daß es
unrichtig ist, (Bewegung links) sondern lasse einfach die Sache bei Seite.
Den Beweis, meine Herren, zu liefern, ist hier nicht die Aufgabe; (Wider=
spruch links) wenn es die Aufgabe wäre, würde ich keinen Augenblick anstehen
ihn zu liefern. Wenn ferner der geehrte Herr Vomedner die Bemerkung
gemacht hat, es könne die Schwierigkeit, welche uns im Deutschen Reiche
bevorstehe, wohl damit am besten gelöst werden, daß auch bei uns jenes
Wort wahr werde: „Die freie Kirche in dem freien Staate“, dann, meine
Herren, muß ich Sie hinweisen, woher denn dieses Wort stammt, und muß
Sie hinweisen auf die Erscheinungen, welche an dieses Wort sich geknüpft
haben. Sie wissen, metne Herren, das Wort: „Die freie Kirche im freien
Staat“ stammt von Carour, stammt aus dem Reiche Italien. Es bat
seiner Zeit so bestechend gewirkt, daß selbst ein Graf Montalembert gemeint
hat diesem Worte sich fügen zu sollen. Aber die wirkliche Gestalt, welche
5) St. B. S. 114 r. u.