930 I. Session des deutschen Reichstages. 1871.
sagen, doch Einiges rekapitulirend besprechen muß. Der Herr Abgeordnete
Graf Renard hat zunächst gewissermaßen unsere Legitimation bestritten. Ich
erwidere dem Herrn Grafen, daß, wenn wir die volle Religionsfreiheit für
Alle verlangen, wir sie auch für Die verlangen, welche etwa nach den Grund-
sätzen, die er aufgestellt hat, eine neue Kirche zu gründen beabsichtigen sollten.
Was dann den Vorwurf betrifft, daß wir in gewisser Weise unseren Antrag
zu sehr eingeengt hätten, — dieser Vorwurf ist hervorgehoben worden von
dem Herrn Abgeordneten Treitschke und von dem Herrn Löwe und auch von
anderen Seiten, die hier Anträge gestellt haben zur Erweiterung der von
uns beantragten Grundrechte — so bebe ich hier sehr bestimmt herror, daß
die Anträge, die von uns gestellt worden sind in Beziehung auf die freiheit-
liche Entwicklung, genau haben beschränkt werden müssen auf den Rahmen,
den wir mit Rücksicht auf die bestehende Verfassung gezogen haben. Ich
für meine Person würde sonst sehr bereit gewesen sein, viel weitergehende
freiheitliche Sätze in der Verfassung aufzustellen. Aber wir mußten wie
gesagt uns beschränken auf den Rahmen, der in der Bundesrerfassung ge-
geben ist. Dieser Rahmen bezieht sich nur auf das Preß= und Vereins-
wesen, und nur insoweit als diese Gegenstände in Frage, könnten wir in
den Fall kommen, an die Aufnahme von Grundrechten für die Legislatire
in diesen Materien zu denken. Wenn wir dabei die Redaktion der preußi-
schen Verfassung der Redaktion der Frankfurter Verfassung vorzogen, so liegt
das einfach darin, daß die Redaktion der preußischen Verfassung aktuelles
Recht ist in dem größten deutschen Staate, und dort sich nach meinem Er-
messen die betreffenden Bestimmungen, soweit es die kirchlichen Fragen be-
trifft, im wesentlichen bewährt haben, rücksichtlich der andern Punkte, Preß-
und Vereinswesen, aber bewähren würden, wenn die Ausführungzgesetze richtig
gemacht wären. Der Herr Abgeordnete Löwe hat gemeint, wir hätten von
dem Preß= und Vereinswesen hier nicht besonders viel gesprochen, es sei uns
darum wohl nicht so sehr zu thun gewesen. Diese Aunahme aber ist absolut
irrig. Wir legen das größte Gewicht auf die Bestimmungen wegen des
Preß= und Vereinswesens. Freilich meint der Herr Dr. Löwe mit dem Ab-
geordneten Treitschke, die Cenfur sei eine längst abgethane Sache, das Vereins-
wesen sei vollkommen gesichert, der Staat sei so verständig, daß er Preß-
und Vereinsfreiheit ohne weiteres und immer gewähren werde. Es ist interes-
sant genug, diese Lehre von den Männern des Fortschritts predigen zu hören.
Der Meister des Fortschritts, der alte Waldeck, würde schwerlich so argumen-
tirt haben. — Es wird mir bier gesagt, Waldeck sei todt. Leider ist er todt! —
Meine politischen Freunde und ich, wir müssen einen sehr großen Werth darauf
legen, daß unter allen Umständen die Preßfreiheit gesichert sei und die Ver-
einsfreiheit. Wir müssen gesichert sein gegen die Wiederkehr von Zuständen,
wie wir sie in den fraglichen Beziehungen in Hannover nun bereits mehr
als zwei Jahre gehabt haben. Während dieser Zeit war die Presse wabrlich
nicht frei, war ebenfalls das Vereinswesen nicht frei, deshalb habe ich mit