Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

948 l. Session des dentschen Reichstages. 1871. 
und werden nicht vergessen, daß jene Bullen und fundamentalen Auslassungen 
der römischen Politik, welche diese Großmacht schufen, auch in der heutigen 
Zeit noch ihre volle nicht nur formelle sondern auch materielle Bedeutung 
besitzen, von der aus man entschlossen ist, bis zu den letzten Folgesätzen die 
Dinge dem Staat gegenüber zu regeln, wenn man die Macht dazu 
hat. Es ist eine seltsame Erscheinung, daß uns heute die preußische 
Partikular-Gesetzgebung, der § 15 der preußischen Verfassung, als das 
Höchste gepriesen wird, was die ganze moderne Zeit in dieser Hinsicht ge- 
schaffen hat. Ich habe nie wahrgenommen, daß Diejenigen, welche geleitet 
von ihren ultramontanen Instinkten bis jetzt aufs Aeußerste Preußen und 
seinen Reformbestrebungen in Deutschland den Krieg gemacht haben, sich 
hierin irgendwie beirren ließen durch ihre Bewunderung für den § 15. 
Meine Herren, ich habe vielmehr stets im Süden wahrgenommen, daß die 
agitatorische Gewalt in der Volksmasse, namentlich jene agitatorische Gewalt, 
welche der nationalen Idee seit den Entscheidungen des Jahres 1866 den 
Krieg machte, bis in unsere Tage, bis zum Anebruch des letzten Krieges und 
theilweise bis zu dem ersten Eindrucke der deutschen Erfolge von der ultra- 
montanen Partei getheik, gebilligt und mit der Wucht ihres Einflusses auf 
die Masse ausgestattet worden ist. Nun, meine Herren, so wenig man mit 
Italien und der nationalen Einheit Italiens Frieden gemacht hat, nachdem 
der Graf Carour entschlossen war, die freie Kirche im freien Staate zu 
gewähren, ebenso wenig würde man mit Preußen Frieden gemacht haben 
lediglich auf Grund der Thatsache, daß wir geneigt wären, den § 15 
der preußischen Verfassung in die Reichsgesetzgebung zu übertragen. Wenn 
die Herren uns heute im allgemeinen billigere Bedingungen machen als nach 
1866, so ist hiervon die einzige Ursache, daß die Kraft und Größe, die 
mächtige und deutsche Gestalt Preußens, seine Geschichte, — daß der die besten 
Kräfte zusammenfassende Trieb, welcher in dem preußischen Volke lebte und 
waltete, in den jüngsten Tagen endlich den entschlossenen Willen und die 
Thatkraft fand, ganz Deutschland mit sich fortzureißen und eine so starke 
Centralgewalt zu schaffen, wie sie Deutschland nie besaß, und bei deren An- 
blick die Herren uns nun ein freundlicheres Gesicht entgegenbringen, als dies 
der Fall sein würde, wenn diese Macht und diese Kraft der That für die 
Sache Deutschlands nicht bestünde. (Zustimmung.) Ich wiederhole, die 
Herren haben die nationale Idee, ungeachtet des preußischen Verfassungspara- 
graphen 15 bekämpft bis auf den heutigen Tag und mit allen ihren Mitteln, 
und sie würden dies heute noch thun, wenn ihnen nicht durch den Gang 
der Dinge eine andere Idee aufgedrungen worden wäre. (Große Unruhe im 
Centrum, lebhafter Beifall links und rechts.) Meine Herren! Ich habe 
vorhin den Ausdruck gebraucht, es werde uns hier ein Ding als Verfassungs- 
gesetz angeboten, was ich für schlechter halte als ein Konkordat. Wenn man 
ein Kenkordat abschließt, so hat man doch einen Vertrag mit einer Macht, 
welche sich verpflichtet diesen Vertrag zu erfüllen; hier aber würden wir in
	        
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