Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

968 I. Sitzung des deutschen Reichstages. 
lischen Kirche eine sehr erhebliche Veränderung seit dem Jahre 1848 hinzu. 
Meine Herren, ich rechte nicht darüber, habe keine Meinung darüber, tadele 
die Meinung Niemandes, wenn ich von dem Glaubenesatz der Unfeblbarkeit 
spreche; daß aber doch nach der Meinung großer katholischer Gelehrten die 
Verfassung der Kirche in ihren Grundfesten verwandelt, das Auftreten der 
Kirche, ihr Verbältniß zum Staat wesentlich ein anderes geworden ist durch 
dieses Prinzip, dafür kann ich mich berufen auf die täglich hervortretenden 
Differenzen und Streitigkeiten, ich kann mich berufen auch neuerdings auf 
einen der größten katholischen Theologen, auf den Professor Döllinger, der 
dies Dogma verwirft als Christ, als Bürger, als Gelehrter, der sagt, dies 
Dogma müsse in das neue Reich den gefährlichen Keim des Unfriedens 
werfen. Meine Herren, wenn große katholische Theologen so sprechen, wenn 
die Herrschaft dieses Dogmas erst neuerdings zur Herrschaft in der katholischen 
Kirche gelangt ist, so sage ich, sind wir berechtigt, auch aut diesem Grunde 
beute anders zu entscheiden als im Jahre 1848. Sie sehen also, meine 
Herren, ich mache Ihnen keine dilatorischen Einreden, ich freue mich darüber, 
daß Sie die Kompetenz des Reiches in diesen Dingen zu entscheiden, aner- 
kannt haben, ich freue mich darüber, daß Sie, indem Sie das Verhältniß 
von Kirche und Staat bineintragen in das Deutsche Reich, indem Sie be- 
haupten, es könne das Verhältniß von Kirche und Staat — denn darum 
handelt es sich doch bier allein — durch die einfache Gesetzgebung hier ge- 
regelt werden, damit anerkennen: wenn das Reich an die Erledigung dieser 
Sache im Wege der organischen Gesetzgebung geht, so handelt es innerhalb 
seiner Kompetenz! Mit vollem Herzen bin ich mit dem Abgeordneten aus 
Baden, Herrn Kiefer, einverstanden, wenn er sagt: lediglich im Deutschen 
Reiche können diese Fragen voll erledigt werden! Wie die Zersplitterung 
des Deutschen Reiches die trammigen Zustände hervorgehoben hat, von denen 
der Herr Abgeordnete von Mallinckrodt mit Recht gesprochen hat, so kann 
die wiederhergestellte Deutsche Einheit auch nur diese Frage lösen, — die ge- 
sammte Kraft der gesammten Nation gehört dazu. Allerdings müssen sie aus 
dem engen und engherzigen Rahmen der Einzelstaaten heraus. Die Zeit 
wird kommen, wo wir sie vor unser Forum ziehen, aber nicht durch allge- 
meine Sätze, sondern durch gründliche organische Gesetze. Dann wird sich 
zeigen, daß es ein anderes heißt dem Polizeistaat gegenüberstehen als dem 
parlamentarischen Staat der Gesetze, dann wird es sich zeigen, daß die Diffe- 
renzen und Streitigkeiten und Gegensätze, welche nothwendig die Willkür des 
Staates hervorrufen mußte, verschwinden unter der Alle gleich treffenden und 
alle Gegensätze gleichmäßig niederhaltenden Antorität der von dem Deutschen 
Parlament in Uebereinstimmung mit den Deutschen Regierungen votirten 
Gesetze. Meine Herren! Wir schenen also nicht die materielle Behandlung 
der Sache, der Fragen, die bier angeregt sind; wir bestreiten — wenigstens 
ich — auch nicht die Kompetenz des Reichs: wir sind bereit, die Fragen 
grün dlich zu erörtern und in organische Gesetze zu votiren, welche Sie hier
	        
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