976 l. Session des deutschen Reichstages.
geschafft werden! Sie meinen, es könnte dies damit geschehen, daß man rom
Staate aus Gesetze gibt, welche die Einen zwingen das anzunehmen, was
den Andern recht ist. Wozu führt das aber? Der Zweck kann nur dadurch
erreicht werden, daß Sie die Giumdrechte annehmen. Wenn Sie uns gerecht
werden wollen, so gibt es kein anderes Mittel als die volle Freiheit für
jede Konfession, sich selbst ihre Gesetze zu geben und nur den allgemeinen
Gesetzen des Staates unterworfen zu sein. Ich kann Ihnen die Versicherung
geben, meine Herren, daß es Niemand unter uns eingefallen wäre, diese
Frage hier zur Sprache zu bringen, hätten wir sie nicht von diesem Stand-
punkt als eine fundamentale Frage für das Gedeihen dee Deutschen Reiches
betrachtet. Bei dem einmal bestehenden Verhältnisse fühle ich mich in meinem
Gewissen gedrungen dahin mitzuwirken, daß kein Hinderniß bestehen bleibe,
welches dem Gedeiben des Reiches entgegentreten könnte. Ich habe das Ver-
langen, mit Ihnen Hand in Hand dieses Reich zu einem großen, herrlichen
zu machen, aber dazu gehört, — und darauf bernht unser Antrag, und darum
habe ich mich dafür erklärt — daß wir die volle Freiheit der Kirchengesellschaf-
ten beschließen. Ich bitte Sie, meine Herren, wenn Sie mit meinen Grund-
sätzen einverstanden sind, sich meinem Antrage anzuschließen, die Grundrechte
in die Deutsche Reichsverfassung als eine der ersten Bestimmungen derselben
aufzunehmen.
Schenck von Staufsenberg (München):’) Meine Herren, in dem, was
der Herr Vorredner eben gesagt hat, und in einer Reihe von Reden, welche
wir gestern gehört haben, ist gewissermaßen der Grundgedanke durchgegangen,
als ob mit Ablelnung der Anträge, welche die Fraktion des Eentrums ge-
stellt hat, eine Unterdrückung, eine Vergewaltigung der katholischen Kirche
beabsichtigt würde. Ich glaube, meine Herren, am Gingange dessen, was
ich Ihnen zu sagen habe, bestimmt aussprechen zu dürfen, und ich glaube,
es ist dies die Meinung der weitaus überwiegenden Mehrheit dieses Haufes:
wir werden gegen diese Anträge stimmen aus dem einfachen Grnde, weil
wir die Ordnung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche nicht in
diesem Augenblick und nicht in dieser Form wollen, wie Sie uns
vorgeschlagen huben. Der Frage, in welcher Weise dies geordnet werden
solle, kann unfr heutiges oder morgiges Votum in keiner Weise präjudiziren.
Der Herr Vorredner hat dann weiter einen Gedanken, der auch von
mehreren Rednern und besonders von dem Herrn Abgeordneten Freiberm
von Ketteler ausgesprochen worden ist, wiederholt, nämlich seine feste Ueber-
zeugung, daß mit der Annahme dieses Antrages die konfessionelle Frage
aufhören würde, ein Streitpunkt unter uns zu sein, daß sie „aus der Welt
geschafft würde“, wie er sich ausdrückt. Nun, meine Herren, wir sind in
dieser Beziehung der entgegengesetzten Meinung, daß wenn Sie einen so
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