Art. 2. Grundrechte. Stauffenberg. 977
allgemein gefaßten und so vielen Mißverständnissen ausgesetzten Satz jetzt in
die Verfassung des Deutschen Reiches hineintragen, damit die konfessionelle
Frage und der konfessionelle Streit nicht aus der Welt geschafft würde,
sondern daß dadurch in eine Reihe der Staaten, in denen bis jetzt Friede
geherrscht, die Keime der Zwietracht erst hineingetragen würde, und aus
diesem Grunde werden ganz gewiß eine große Anzahl von Mitgliedern gegen
die Vorschläge der Centrumofraktion stimmen. Erlauben Sie mir, meine
Herren, daß ich Ihnen ganz kurz jene Bedenken vortrage, welche in dem
Staate, der mich hierher gesandt hat, dagegen auftauchen, welche bezüglich
unserer heimischen Rechtsverhältnisse entstehen. Wenn ich die Auslegungen,
die die Herren ihren Vorschlägen gegeben haben, mit einander vergleiche,
se komme ich in eine gewisse Verlegenheit. Ich bin nicht vollständig sicher
darüber, ob sie der Meinung sind, daß die Artikel 6 und 7, welche sie uns
als Grundrechte des Deutschen Volkes vorschlagen, sogleich in Wirksamkeit
treten sollen, d. h. daß sie sogleich Wirkung auf die Landesverfassungen
haben sollen und jene Bestimmungen, welche nach ihrer Meinung oder nach
der Meinung Anderer, die später an diese Vorschläge anknüpfen könnten,
damit in Widerspruch stehen, abrogiren. Einige der Herren Redner haben
dies allerdings mit einiger Bestimmtheit ausgesprochen; andere schienen auf
dem entgegengesetzten Standpunkte zu stehen. Zusbesondere habe ich bezüg-
lich Baierns die Meinung äußern hören, daß damit an den faktischen
Rechtszuständen unserer Heimat nichts geändert werden solle. Nun, meine
Herren, wie würden sich dann die Verhältnisse bei uns gestalten! Wir
haben z. B. in Baiern eine Unterscheidung zwischen rein geistlichen Ge-
genständen, zwischen weltlichen und zwischen gemischten Gegenständen,
und das Gesetzgebungs= und Aufsichtsrecht des Staates ist nach dieser U##n#te#=
scheidung abgestuft. Nun sagen Sie in Ihrem Artikel 7: Die Kirche ordnet
und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig. Was, meine
Herren, sind diese Angelegenheiten!? Darüber entsteht die erste Unklarheit,
und keiner von Ihnen kann mir heute mit voller Bestimmtheit den RKreis
dieser Angelegenheiten beschreiben. Man hat das, als man die baierische
Verfassung machte, sehr wohl gefühlt und deshalb die ganz ausdrückliche
Ausscheidung je nach den einzelnen Gegenständen in der Verfassungsurkunde
getroffen, und meines Wissens ist in dieser Beziehung bis jetzt ein wescnt-
licher Streitpunkt nicht hervorgetreten; Sie würden aber den Streit in
unsere heimischen Verfassungsverhältnisse sogleich hineintragen, sobald wir
diesen Artikel als Grundgesctz des Deutschen Reiches auch in Baiern zur
Geltung gebracht haben würden. Wie stehen z. B. die Verhältnisse bezüg-
lich der Klöster? In der baierischen Verfassung heißt es im § 76 der
Beilage II: „Unter Gegenständen gemischter Natur werden diejenigen ver-
standen, welche zwar geistlich sind, aber die Religion nicht wesentlich
betreffen, und zugleich irgend eine Beziehung auf den Staat und das
weltliche Wohl der Einwohner haben. Dahin gehören: — C) die Er-
Anertalien 111. 62