978 I. Session des deutschen Reichstages.
richtung geistlicher Gesellschaften und sonstiger Institute und Bestimmung
ihrer Gelübde.“ Auf Grund dieses § 76 im Zusammenhange mit den ein-
schlägigen Bestimmungen des Konkordats hat man in Baiern bis jetzt da-
rauf bestimmt gehalten, daß die Grrichtung geistlicher Genossenschaften und
Klöster der landesherrlichen Instimmung bedürfe. Soll das, meine Herren,
anders sein oder nicht? Gehört das zu den Angelegenbeiten, welche die
Kirche selbstständig verwaltet, oder gehört das nicht dazu? CEin weiterer
Punkt: (s ist schon wiederholt darauf hingewiesen und von einem Herrn
Redner augeführt worden, daß jener Artikel der preußischen Verfassung,
der die Aufhebung des placetum regium ausspricht, ron Ihnen nicht in
die Grundrechte mit aufgenommen worden ist, — ich weiß nicht, aus welchem
Giunde das nicht geschehen ist — aber zugleich entsteht für uns die Zweifel-
frage: soll das in Baiern gegenwärtig bestehende Plucetum regium aufge-
hoben werden oder nicht? Es ist sehr leichtl, diese Frage jetzt mit Ja oder
Nein zu beantworten; aber Sie werden nicht verhüten können, daß über
diese Gegenstände die weitgreifendsten Streitigkeiten entstehen. Ge ist das
hlacetum regium zum Beispiel einer jener Punkte, über die man ver-
schiedener Meinung sein kann. Man kann der Meinung sein, daß jetzt, wo
allgemeine Preßfreihcit herrscht, dieses Recht ein vollständig reraltetes sei.
Es giebt aber auch noch einen anderen Gesichtspunkt. Es ist vielleicht
gerade in der jetzigen Zeit nicht ganz unwichtig, durch das placetum re-
kium einem Theil, und zwar einem sehr großen Bruchtheil der katholischen
Kirche die Möglichkeit des rechtlichen Bestehens weiter zu gewähren. Es ist
durch das Placetum regium jetzt die Möglichkeit, Denjenigen, welche ihr
Gewissen nicht vergewaltigen lassen wollen, einen rechtlichen Boden, auf
welchem sie stehen können, zu gewähren. (Widerspruch und Bravo!) Sind
jene Bestimmungen, meine Herren, welche die baierische Verfassungsurkunde
bezüglich der Religion der Kinder ans gemischten Ghren trifft, durch diesen
Artikel der Grundrechte aufgehoben oder sind sie nicht aufgehoben? Ist
der Rekurs ab abusn, den die baierische Verfassung zuläßt, aufgehoben
oder nicht? Jene Bestimmungen über den Gebrauch von Simultankirchen,
sind sie aufgeboben oder nicht? Sind jene Bestimmungen, welche die
baierische Verfassungsurkunde über den Gebrauch der katholischen Fridhöfe
durch akatholische Religionetheile trifft, aufgehoben oder nicht? Sie sind
nicht anfgehoben, sagen Sie. Nun, meine Herren, Sie werden sich wohl
daran erinnern, daß es noch nicht gar so lange her ist, daß als die öster-
reichischen Staatsgrundgesetze crlassen wurden, als der Artikel 12 des Ge-
setzes vom 25. Mai 1868 über die interkonfessionellen Verhältnisse der
Staatebürger erlassen wurde, welcher bestimmt: daß keine Religionsgemeinde
der Leiche eines ihr nicht Angebörigen die anständige Bestattung auf ihrem
Friedhofe verweigern kann, wenn es sich um die Bestattung in einem Fa-
miliengrabe handelt, oder wenn da, wo der Todesfall eintrat, oder wo die
Leiche gefunden wurde, für die Religionsgenossenschaft des Verstorbenen