Full text: Materialien der Deutschen Reichs-Verfassung. Band III (3)

982 I. Session des deutichen Reichstages. 
der Papst in seiner Allokution vom 22. Juni 1868 sich vollständig ver- 
urtheilend verhalten hat. (Hört! hörtl) Er sagt wörtlich: „Am 21. Dezem- 
ber verflossenen Jahres ist von der österreichischen Regierung ein unerhörtes 
Gesetz (insanda lex) als Staats-Grundgesetz erlassen worden, welches in 
allen, auch den einzig der katholischen Religion zugehörigen Reichstheilen 
gelten und besteben soll. Durch dieses Gesetz wird die volle Meinungefrei- 
heit, die Preßfreiheit, die volle Glaubens-, Gewissens= und Freibeit der 
Wissenschaft, allen Staatsbürgern das Recht gegeben, Erziehungs= und 
Unterrichtsanstalten zu gründen, werden alle Relig ionsgesellschaften einander 
gleichgestellt und vom Staate anerkannt.“ (Hört! hört!) Und nun, meine 
Herren, heißt es zum Schluß: „Desbalb, vermöge der uns von Christo dem 
Herrn selbst über alle Kirchen anvertrauten Obsorge, erheben wir die aposto- 
lische Stimme in dieser Emer hochansehnlichen Versammlung und verwerfen, 
verdammen kraft unserer apestolischen Autorität die erwähnten Gesetze und 
Alles und jedes Einzelne, was entweder in diesen oder in anderen sich auf 
das Recht der Kirche beziehenden Dingen von der österreichischen Regierung 
oder von welchen untergeordneten Behörden immer verfügt, getban und 
irgendwie versucht ist, erklären kraft derselben unserer Autorität, daß diese 
Dekrete mit allen Folgen gänzlich nichtig, (Hôrt! hört!) ohne jegliche Kraft 
gewesen sind und sein werden.“ Und schließlich werden alle Diejenigen, „die 
sich Katholiken zu sein rühmen, welche solche Gesetze und Akte proponirt, 
geschaffen oder gebilligt haben," beschworen, „sich der Kirchenstrafen und der 
geistlichen Strafen zu erinnern.“" — (Hört! hört! Gelächter. Große Auf- 
regung.) Nun, meine Herren, erlauben Sie mir, diese Dinge sind mir 
außerordentlich ernst und ich habe sie dinchaus nicht vorgebracht, um die 
Heiterkeit der hohen Versammlung zu erregen. — Diese Dinge, meine Herren, 
sind eben ein Spomptom des tiefen Risses, der dirch die ganze Kirche geht, 
des Risses, unter dem wir Alle miteinander leiden. Ich kenne Alles, meine 
Herren, was man gesagt hat, um den Standpunkt, den Sie einnehmen, 
mit dem, was hier gesagt ist, zu versöhnen; ich kenne sogar — ich glaube 
es sagen zu können — im voraus jede Einwendung, welche Sie dagegen 
machen werden; allein, meine Herren, es ist mir absolut unmöglich, diesen 
Einwendungen zu folgen. Ich bin der Meinung, meine Herren, daß Sie 
eher die Quadratur des Zirkels finden, als daß Sie die Gesinnungen, die 
dort herrschen, mit dem, was Sie fordern und was Sie mit so beredten 
Worten im Geiste der Freiheit vertreten haben, miteinander vereinigen 
können. (Lebhafter Beifall.) Ich halte das für so unmöglich und für 
einen so umrereinbaren Standpunkt, daß eigentlich über diese Dinge nicht 
mehr gesprochen werden kann. Ich werde, meine Herren, im Interesse des 
Friedens unter den Konfscssionen in Süddentschland, im Interesse des Frie- 
dens zwischen Kirche und Staat gegen Ihre Anträge stimmen. (Lebhaftes 
Braro.)
	        
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