Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

102 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
Reiterdienstes vorzüglich zu diesem verwendet. Wie früher die Vassallität, gelangte nunmehr 
die Ministerialität durch Abschichtung zur wirtschaftlichen Selbständigkeit, indem die Ministerialen 
aus dem Haushalte des Leibherrn ausschieden und mit Dienstlehen ausgestattet wurden, einer 
zunächst hofrechtlichen Besitzform, welche Eigenschaften des Zinsgutes und des echten Lehens 
in sich vereinigte. Die ritterliche Beschäftigung hob die Ministerialen gesellschaftlich auf eine 
Stufe mit den rittermäßigen Freien, eine Stellung, mit welcher freilich das rechtliche Merkmal 
der Unfreiheit seltsam kontrastierte. Gegen die bäuerliche Bevölkerung schloß sich die Ministe- 
rialität dadurch ab, daß den Bauersöhnen reichsgesetzlich verboten wurde, Ritter zu werden. 
Andererseits haben sich, um Dienstlehen zu erhalten, deren Verleihung für den Herrn vorteil- 
hafter war als die Verleihung echter Lehen, vollfreie Leute nicht selten mit Vorbehalt gewisser 
Freiheitsrechte, namentlich der Schöffenbarkeit im gräflichen Gerichte, in die Ministerialität 
ergeben. In Süddeutschland konnten nur Fürsten Ministerialen im eigentlichen Sinne haben. 
Wo diese Regel galt, schieden sich die unfreien Ritter in zwei Stände, indem den Ministerialen 
die übrigen als milites, Ritter schlechtweg, gegenübergestellt wurden. Letzteren fehlte die aktive 
Lehnsfähigkeit, ja sogar die Ebenbürtigkeit mit den eigentlichen Dienstmannen. Der Abstand 
zwischen der sozialen und der rechtlichen Lage der Ministerialen und unfreien Ritter glich sich 
seit dem 13. Jahrhundert allmählich aus. Sie traten in den Kreis der freien Ritter ein und 
lieferten das hauptsächliche Kontingent für den niederen Adel der neueren Zeit. 
Die lehnrechtliche Ständescheidung schildern uns die Rechtsbücher des 13. Jahrhunderts 
iun dem System der Heerschilde. Den ersten Heerschild hat der König; im zweiten stehen die 
Pfaffen-, im dritten die Laienfürsten; nach dem Sachsenspiegel haben den vierten die freien 
Herren, den fünften die Schöffenbarfreien und die Ministerialen, den sechsten die Mannen der 
Inhaber des fünften Schildes; der siebente Schild bleibt im Sachsenspiegel unbenannt. Nach 
dem Schwabenspiegel stehen im vierten die Hochfreien, im fünften die Mittelfreien, im sechsten 
die Ministerialen, im siebenten alle übrigen ritterfähigen Leute. Die praktische Bedeutung 
des Heerschildsystems lag aber darin, daß niemand von einem Heerschildgenossen Lehen nehmen 
konnte, ohne seinen Schild zu erniedern und aus der bisherigen Schildgenossenschaft aus- 
zuscheiden. Als lästige Schranke gegen den Verkehr mit Lehen wurden die Heerschildregeln 
zuerst durch Scheingeschäfte umgangen und gerieten dann seit dem 14. Jahrhundert allmählich 
in Vergessenheit. 
In den Städten zeigt die ständische Entwicklung nicht eine differenzierende, sondern eine 
nivellierende Tendenz. Sie ging dahin, daß die anfänglich vorhandenen Geburtsstände ver- 
schwanden und aus der Aufhebung der ursprünglichen Gegensätze ein freies, standesgleiches 
Bürgertum erwuchs. Die Bevölkerung der älteren Städte schied sich regelmäßig in Freie, in 
Ministerialen des Stadtherrn und in hörige Handwerker. Seit dem 11. Jahrhundert strömten 
zahlreiche freie Bevölkerungselemente vom flachen Lande in die Städte ein. Bei Erhebung 
eines Ortes zur Stadt, bei Gründung einer Stadt fand regelmäßig eine Besiedlung der Stadt 
mit freien Kaufleuten und Handwerkern statt. Schließlich wurde die persönliche Freiheit der 
Einwohner ein Merkmal der Stadt. In zahlreichen Städten galt der Grundsatz: Luft macht 
frei, kraft dessen ein Unfreier oder Höriger, der sich Jahr und Tag unbehelligt in der Stadt auf- 
gehalten hatte, als Freier behandelt wurde. Ausnahmsweise steigerte sich die befreiende Wirkung 
der Stadtluft dahin, daß der Einwanderer sofort mit der Niederlassung frei wurde. Um ihre 
Macht zu erhöhen, pflegten die Städte Grundbesitzer und andere Personen, die außerhalb der 
Stadtmauern wohnten, durch Erteilung des Bürgerrechtes in den Stadtverband aufzunehmen. 
Solche Bürger unterstanden der Stadtgerichtsbarkeit, hatten die Befugnis, in der Stadt zu 
verkaufen, waren der Stadt zu kriegerischem Dienste verpflichtet und hießen Ausbürger oder 
Pfahlbürger. Innerhalb der Bürgerschaft standen die Reicheren und Vornehmeren als Alt-, 
Voll-- oder Erbbürger den minderberechtigten Handwerkern und Kleinkaufleuten gegenüber, 
die zunächst von den städtischen Amtern und vom Stadtrate ausgeschlossen waren. In die Klasse 
der Altbürger gingen die Ministerialen auf, soweit sie nicht völlig aus der Stadt verdrängt 
wurden. 
Die Handwerker gliederten sich nach gewerblichen Genossenschaften, die als Amter, In- 
nungen, Zünfte, Gaffel oder Gilden bezeichnet wurden. Diese erlangten die Bedeutung 
öffentlichrechtlicher Körperschaften, hatten Gerichtsbarkeit über die Genossen und hatten Polizei-
	        
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