1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 103
gewalt in Gewerbesachen, besaßen das Recht, die Genossen zu besteuern, gaben sich eine mili-
tärische Organisation und eröffneten im Laufe des 14. Jahrhunderts zuerst im südlichen, dann
im nördlichen Deutschland den Kampf um die rechtliche Gleichstellung mit den Altbürgern, als
dessen Ergebnis allenthalben eine mehr oder minder ausgedehnte Demokratisierung der Stadt-
verfassung eintrat.
Als im Heerwesen der Reiterdienst durchgedrungen war, wurde die Landbevölkerung,
die diesen Dienst nicht leistete, als die bäuerliche unter dem Namen rustici, homines rusticani,
rusticanae conditionis von der ritterlichen unterschieden. Ein Teil der Bauern zählte zu den
freien landrechtlichen Ständen, jene nämlich, die auf einem mit Abgaben belasteten Eigen saßen,
und jene, die ihre Hufen auf Grund landrechtlicher Erbleihe oder in Zeitpacht innehatten.
Ständisch tiefer standen die Landleute, die zum Hofe eines Grundherrn, am tiefsten jene, die
einem Leibherrn gehörten.
An den Höfen der größeren Grundherren zeigt noch im 10. Jahrhundert die Bevölkerung
eine ungefähr ähnliche ständische Mischung wie in den Städten. Sie bestand aus Ministerialen,
aus freien hintersässigen Vogteileuten, aus Hörigen und Eigenleuten. Während aber in den
Städten der Stand der Freien die Oberhand gewann und die tieferstehenden Klassen zu sich
emporzog, schlug die Entwicklung an den Höfen der Grundherren die entgegengesetzte Richtung
ein. Hier wuchsen, nachdem die Ministerialen oder milites ausgeschieden waren, die ver-
schiedenen ständischen Elemente in eine grundhörige Gemeinde zusammen. Den Kern gaben
die Halbfreien ab, die Laten des Nordens, die Barschalke des Südens. Mit ihnen verschmolzen
die freien mansionarü, während andererseits die auf bäuerlichen Höfen angesiedelten Knechte
ohne besondere Freilassung regelmäßig für Laten galten. Sie gehörten sämtlich vor das grund-
herrliche Gericht, waren an die Scholle gebunden (glebae adscripti), entrichteten Kopfzius,
Heiratssteuer und, soweit sie das Recht der Vererbung besaßen, Erbschaftsabgaben.
Tiefer standen die nicht auf bäuerlichen Nahrungen angesiedelten Knechte, die Unfreien
aus dem Hausgesinde und die ländlichen Arbeiter (dagescalci, dagewerchten). Hauptsächlich
diese wurden seit dem 13. Jahrhundert als homines proprü de corpore, seit dem 14. Jahrhundert
als Lpeigen bezeichnet. Sie leisteten ungemessene Fronden oder Gesindedienst im Haushalt
und standen samt ihrer Habe im Eigentum ihres Herrn. Von vornherein nicht sehr zahlreich,
ist die knechtische Bevölkerung in einzelnen Teilen Deutschlands schon gegen Ausgang des Mittel-
alters verschwunden.
Kraft Privilegs oder gewohnheitsrechtlich bestand an grundherrlichen Höfen der Rechts-
satz, daß die Luft eigen macht, d. h. daß der Ankömmling, der Jahr und Tag unter den Grund-
holden eines Herrn weilt, dessen Grundholde werde.
§ 26. Die Rechtsbildung. Das geschriebene Recht der vorigen Periode kam im Deutschen
Reiche allmählich außer Gebrauch. Die Leges und die Kapitularien gerieten in Vergessenheit.
Die Umgestaltung der Verfassungsgrundlagen, die neuen Standesverhältnisse, die mit dem
Kulturzustande sich ändernden Rechtsanschauungen schoben ihre Rechtssätze, auch wenn
sie sich gewohnheitsrechtlich festgewurzelt hatten, allmählich beiseite. Das Recht ist bis ins
13. Jahrhundert vorzugsweise wieder ungeschriebenes Recht, es wird durch Schöffensprüche
fortgebildet, in zweifelhaften Fällen durch Aufnahme eines Weistums festgestellt, d. h. durch eine
Aussage über geltendes Gewohnheitsrecht, die auf amtliche Anfrage hin von glaubwürdigen,
rechtskundigen Männern abgegeben wird.
Die Rechtsbildung nahm denselben Gang wie die politische Entwicklung, den Gang der
Vereinzelung und des Partikularismus, eine Erscheinung, die sich zumeist aus dem Mangel
einer einheitlichen Gerichtsverfassung und aus der Entstehung zahlreicher Sondergerichte erklärt.
Abgesehen von der aus der vorigen Periode überkommenen Besonderheit der Stammesrechte
schieden sich für gewisse Rechtsverhältnisse, für bestimmte Bevölkerungsklassen und für einzelne
Territorien neue Rechtsgebiete aus, die mit der Bildung von Sondergerichten zusammenhängen.
Streitigkeiten aus dem Lehnsverhältnisse, sowohl des Herrn mit dem Lehnsmann als auch der
Lehnsmannen untereinander, kamen vor das Lehnsgericht, an welchem der Herr als Richter
die Lehnsmannen als Urteiler fungierten. Das hier zur Ausbildung gelangende Recht ist das
Lehnrecht, das Seitenstück zum Landrechte, das in den öffentlichen Gerichten der Grasschaft