1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 105
Seit dem 13. Jahrhundert taucht in Deutschland geschriebenes Recht in Masse auf. Seinem
Ursprunge nach ist es entweder Satzung oder schlichte Rechtsaufzeichnung oder juristische Be-
arbeitung des Rechtes (Rechtsbücher). Als Sprache der Rechtsquellen tritt im 13. Jahrhundert
neben die lateinische die deutsche Sprache, die seit der Mitte dieses Jahrhunderts das Über-
gewicht erlangt. Neben dem geschriebenen Rechte behielt das ungeschriebene Gewohnheitsrecht
ein ausgedehntes Herrschaftsgebiet.
§ 27. Ouellen des Reichsrechtes. Das Reichsrecht liefert bis zur Mitte des 12. Jahr-
hunderts nur spärliche Quellen. Tätiger wurde die königliche Gesetzgebung in der Zeit der
Staufer, die einzelne ihrer Gesetze, um ihnen größere Verbreitung und höheres Ansehen zu
verschaffen, in das Corpus iuris civilis einfügen ließen. Die Reichsgesetze wurden vom König
mit der auf den Reichstagen eingeholten Zustimmung der Großen erlassen. Dem Inhalte nach
haben wir unter den Reichsgesetzen hauptsächlich zwei Gruppen zu unterscheiden:
1. Landfriedensgesetze, constitutiones pacis. Seit dem Durchdringen des Reiterwesens
wurde in den ritterlichen Kreisen das Fehdewesen so sehr ausgedehnt und nahm die Rechts-
unsicherheit durch mißbräuchliche Selbsthilfe so sehr überhand, daß die öffentliche Gewalt nicht
mehr in der Lage war, den zahlreichen Störungen des Friedens auf normalem Wege mit Hilfe
der ordentlichen Rechtspflege und mit den Strafrechtssätzen der Stammesrechte zu steuern.
Daher sahen sich die Könige genötigt, von Zeit zu Zeit Landfriedensgesetze zu erlassen, durch
die der Friedensbruch unter höhere, meist peinliche Strafe gestellt wurde. In der Regel hatte
die Aufrichtung des Landfriedens den Charakter einer beschworenen Einigung; er wurde nämlich
von den Großen, mit denen der König ihn vereinbart hatte, beschworen, die ihn dann ihrer-
seits landschaftsweise beschwören ließen. Entweder verbieten die Landfriedensgesetze die Fehde
schlechtweg, oder sie knüpfen deren Ausübung an bestimmte rechtliche Voraussetzungen und
Schranken. Entweder wird das Gesetz ohne zeitliche Beschränkung als ein dauerndes erlassen,
oder der Landfriede wird nur auf eine bestimmte Zahl von Jahren errichtet, indem das Gesetz
für diese Zeit eine Art beschworenen Standrechtes verkündigt. Die Bestimmungen über den
Friedensbruch bilden nur den Kern der Landfriedensgesetze, diese enthalten auch sonstige
strafrechtliche, prozessualische und polizeiliche Vorschriften. Den Reichslandfrieden sind zahl-
reiche provinzielle Friedenseinigungen teils vorausgegangen, teils zur Seite getreten.
Die für das ganze Reich errichteten Landfrieden reichen bis in die Zeit Heinrichs IV.
zurück. Im Jahre 1103 wurde zu Mainz ein Landfriede auf vier Jahre beschworen. Das be-
deutendste und berühmteste Landfriedensgesetz ist Friedrichs II. Constitutio Moguntina vom
15. August 1235, welche außer dem Fehdewesen und den Friedensbrüchen zahlreiche andere
Materien, so z. B. Zoll= und Münzwesen, Geleitrecht, die Kirchenvogtei und die Organisation
des Hofgerichtes betrifft. Sie wurde in amtlicher deutscher Redaktion verkündigt und etwa
1400 von dem Juristen Nikolaus Wurm glossiert. Auf dem Mainzer Landfrieden von 1235
beruhen in der Hauptsache die Landfrieden, die nach dem Interregnum von Rudolf I. und seinen
nächsten Nachfolgern errichtet wurden. Neue und selbständige Bahnen sucht der Landfriedens-
entwurf Albrechts II. von 1438 einzuschlagen, welcher das Fehderecht vollständig aufheben
wollte und für die Handhabung des Friedens eine Einteilung des Reiches in vier Kreise pro-
jektierte. Dagegen wird ein bedingtes Fehderecht wieder anerkannt in der Frankfurter Re-
sormation Friedrichs III. von 1442, die außerdem das Recht der Pfandnahme, Geleitrecht,
Münzwesen und Vehme behandelt. Ein Landfriede wurde 1467 auf fünf, 1474 auf zehn Jahre
von Friedrich III. errichtet. Endlich kam 1495 ein ewiger Landfriede zustande, den man auf
den folgenden Reichstagen mehrmals republizierte, erläuterte und mit Zusätzen versah.
2. Verfassungsgesetze. Als solche sind mit Einschluß der Konkordate zu nennen das
Wormser Konkordat vom 23. September 1122, das den Investiturstreit beendete, die Sententia
de regalibus von 1158, betreffend die königlichen Regalrechte in Italien, nachmals auf Grund
der Aufnahme in die Libri keudorum auch in Deutschland rezipiert, ferner zwei für die Ent-
wicklung der Landeshoheit bedeutsame Gesetze, das Privilegium für die geistlichen Fürsten von
1220, das Statutum in favorem principum von König Heinrich auf einem Wormser Reichstage
1231 beschlossen, 1232 von Friedrich II. bestätigt, das auf einem Frankfurter Reichstage ver-
abschiedete Gesetz Ludwigs des Bayern mit den Anfangsworten licet juris vom 8. August 1338,