1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 115
judiz für die Absetzbarkeit des Königs. Seit die Königswahl ein ausschließliches Recht der Kur-
fürsten geworden, legten diese sich das Recht bei, den deutschen König abzusetzen.
Die königlichen Rechte sind in dieser Zeit im allgemeinen dieselben wie in der vorigen
Periode. Ihre Zahl hat sich sogar noch vermehrt. Trotzdem ging die königliche Gewalt einer
nachhaltigen Schwächung entgegen. Einerseits wurde ihr Umfang durch zahlreiche Exem-
tionen geschmälert, infolge deren der Inhaber der Immunität die bis dahin öffentlichen Rechte
im eigenen Namen und zu eigenem Nutzen auslbte. Andererseits handhabte der König die
öffentliche Gewalt, soweit er nicht selber tätig war, regelmäßig nicht mehr durch Beamte im
eigentlichen Sinne, sondern durch Lehnsleute, die das Amt zwar im Namen des Königs, aber
zu eigenem Nutzen verwalteten.
Der König ist als solcher Eigentümer des Reichsgutes, das man seit dem Wechsel der
Königsgeschlechter von deren jeweiligem Hausgut zu unterscheiden beginnt. Von den Reichs-
gütern, die bis ins 13. Jahrhundert den eigentlichen Kern der königlichen Macht gebildet hatten,
sind infolge von Schenkungen, Verleihungen und Verpfändungen nach dem Interregnum nur
noch geringe Reste vorhanden. Um weiterer Verschleuderung des Reichsgutes vorzubeugen,
wird der König in der Verfügung darüber beschränkt. Seit Rudolf I. ist es reichsrechtlich an-
erkannter Grundsatz, daß der König zur Veräußerung von Reichsgut der Zustimmung der Kur-
fürsten bedürfe, die sie in der Form von „Willebriefen“ oder durch Mitbesiegelung der könig-
lichen Urkunde erteilen.
Der König ist Dienstherr der Reichsministerialen, Stadtherr der Reichsstädte und übt
als Schutzherr der Reichskirchen die dem Reiche über das Reichskirchengut zustehenden Rechte.
Der König ist oberster Lehnsherr, er gebietet als solcher seinen Lehnsleuten Hoffahrt und
Heerfahrt und übt das Recht des Heimfalls aus. Dieses Recht wird aber durch die eingetretene
Erblichkeit der Lehen wesentlich beschränkt. Die Lehen können bei Thronfall und bei Mann-
fall nicht mehr ohne weiteres eingezogen werden, sondern der Nachfolger des verstorbenen
Lehnsherrn ist dem Lehnsbesitzer, der Lehnsherr dem Lehnserben die Belehnung zu erneuern
verpflichtet, wenn diese zu gehöriger Zeit und in gehöriger Form darum nachsuchen. Der
Heimfall wird daher nur noch praktisch, wenn ein successionsberechtigter Abkömmling des letzten
Lehnsbesitzers nicht vorhanden ist. Noch weiter ging der Leihezwang bei den zu Lehen ge-
wordenen öffentlichen Amtern. Da das Amt einen Träger der Amtsbefugnisse und Amts-
pflichten verlangte, so war der Lehnsherr verpflichtet, das Amtslehen auch dann, wenn der
Inhaber ohne Hinterlassung eines Lehnserben gestorben war, aufs neue durch Belehnung zu
besetzen. Solcher Leihezwang bestand für den König bei den Fahnlehen, d. h. bei den zu Lehen
gewordenen Fürstenämtern, die durch das Symbol der Fahne verliehen wurden. Ein ledig
gewordenes Fahnlehen durfte der König nicht unbesetzt lassen, er mußte es binnen Jahr und
Tag aufs neue verleihen, eine Schranke, die dem deutschen Königtum den Weg versperrte, durch
Einziehung heimfallender Fahnlehen der königlichen Gewalt das Ubergewicht über die Territorial-
gewalten zu verschaffen, wie dies dem französischen Königtum hinsichtlich der großen Kron-
lehen gelang.
Der König hatte nach wie vor die Vertretung des Reiches nach außen, er hat die oberste
Heergewalt, das Recht der Friedensbewahrung und die oberste Gerichtsgewalt.
Die höhere Gerichtsgewalt steht theoretisch allenthalben dem König zu. Er übt sie ent-
weder selbst aus oder überträgt sie auf andere. Da aber die Gerichtslehen — die Amter mit
höherer Gerichtsbarkeit waren Lehen geworden — nicht alle vom König selbst verliehen wurden,
sondern in der Mehrzahl Afterlehen bildeten, so äußerte sich seine Gerichtsgewalt wenigstens
in der Bannleihe dank dem Rechtssatze, daß jeder höhere Richter den Königsbann persönlich
einholen und dafür dem König Hulde schwören müsse. Die Markgrafschaften und die welt-
lichen Fürstentümer Süddeutschlands haben diese Beschränkung nicht gekannt. In der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts setzten sich die meisten Laienfürsten über das Erfordernis der könig-
lichen Bannleihe hinweg, indem sie selbst den von ihnen bestellten Richtern mit dem Amte zu-
gleich auch die Gerichtsgewalt übertrugen. Auch Pfaffenfürsten haben diese Befugnis ent-
weder durch königliches Privileg oder auf dem Wege der Usurpation erworben. Im allgemeinen
hat sich in den geistlichen Territorien die Bannleihe des Königs länger erhalten als in den welk-
lichen, weil nach kanonischem Rechte die Übertragung des Blutbannes Irregularität zur Folge
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