Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

126 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
denn z. B. im sogenannten Schwabenspiegel das Ertränken und das Lebendigbegraben hinzu- 
treten. Während das sächsische Strafrecht des 10. Jahrhunderts wegen der häufigen Anwendung 
der Todesstrafe als grausam verrufen war, ist das Strafrecht des Sachsenspiegels milder als 
das des Schwabenspiegels. Gegen Ausgang des Mittelalters riß in Süddeutschland durch Härte 
und Willkür geradezu eine Verwilderung der Strafjustiz ein. 
Die Ablösung der Strafe um Geld war bei Ungerichten, die zu Hals oder Hand geahndet 
wurden, an die Einwilligung des Richters und des Klägers gebunden. Dagegen konnte die 
Strafe zu Haut und Haar stets nach freiem Belieben des Schuldigen geledigt werden. Die 
Verurteilung zu einer ehrenkränkenden Strafe, mag diese nun vollzogen oder abgelöst worden 
sein, minderte die volle Rechtsfähigkeit, sie machte rechtlos. In bestimmten Fällen hatte schon 
die (unehrliche) Missetat an sich diesen Nachteil zur unmittelbaren Folge. Aus dem Straf- 
ablösungsrechte entstand, indem man die Lösungssumme und die Zustimmung des Klägers 
fallen ließ, ein richterliches Begnadigungsrecht, das unter der Voraussetzung Platz greifen konnte, 
daß der Schuldige sich mit freiwilligem Geständnis in die Gnade des Richters begab. Doch 
vermochte die Begnadigung ebensowenig wie früher die Ledigung der Strafe den Eintritt der 
Rechtlosigkeit auszuschließen. 
Das Wergeld des alten Rechtes büßte zum größten Teile seine praktische Bedeutung ein, 
eine Entwicklung, die sich u. a. darin spiegelt, daß seine Abstufungen mit der Neubildung der 
landrechtlichen Stände nicht mehr gleichen Schritt hielten. Es entfiel nur noch bei Tötungen, 
die sich als Ungefährwerk darstellten. Andere Tötungen wurden als Ungerichte peinlich be- 
straft. Bei der Totschlagsühne hielt man sich im größeren Teile Deutschlands nicht mehr an 
feste Wergeldsätze; vielmehr mußte sich der Totschläger zu feierlicher Abbitte, zu Pilgerfahrten, 
die wieder hier und da um herkömmlich fixierte Geldsummen abgelöst werden konnten, zur 
Zahlung von Seelenmessen oder zu frommen Stiftungen für das Seelenheil des Erschlagenen 
verstehen. Die Sühne durch Zahlung eines Sühngeldes behauptete sich fast nur noch in den 
niederdeutschen Landschaften. — Die dem Verletzten gebührende Buße nahm den ausschließ- 
lichen Charakter des Strafgeldes an. Der Schadenersatz, den die compositio der Volksrechte 
mitumfaßt hatte, wird nunmehr neben der Buße geltend gemacht. Die Geldsumme, die der 
Missetäter dem Richter zu zahlen hat, heißt jetzt in Niederdeutschland Wette, Gewette, ander- 
wärts auch Wandel. Sie schließt den alten fredus und den banmus in sich. 
IV. Der Rechtsgang. 
§s 43. Im Gebiete der Selbsthilfe hat sich die Fehde zum Zweck der Rache für den 
Fall des Totschlags erhalten. Die beleidigte Familie war befugt, Blutrache zu üben, sofern 
es nicht im einzelnen Falle der öffentlichen Gewalt gelang, von den verfeindeten Parteien einen 
vorläufigen Frieden auf bestimmte Zeit (treuga, träve) zu erzwingen oder eine endgültige Sühne 
zu vermitteln. In einzelnen Teilen des sächsischen Rechtsgebietes, bei den Friesen, insbesondere 
aber in Holland, Seeland und Flandern, hat sich die Haftung der Magen für das verwirkte Sühn- 
geld behauptet, ja in Holland sogar eine Ausdehnung auf dessen gesamten Betrag erfahren, 
da das Gut des Totschlägers selbst vom Grafen eingezogen wurde. 
Seit der Ausbildung des Reiterwesens durchbrach die Fehdeübung allenthalben die durch 
das ältere Recht gezogenen Schranken. In den Kreisen des Rittertums bildete sich die Unsitte 
und die Auffassung aus, daß man nicht bloß in Fällen der Blutrache, sondern wegen jeder Ver- 
letzung zur Selbsthilfe greifen und Fehde üben könne. Die Reichsgewalt sah sich genötigt, mit 
den tatsächlichen Zuständen und den Anschauungen des Kriegerstandes zu rechnen und sich auf 
die Eindämmung des Fehdewesens zu beschränken. Dasselbe Ziel verfolgte seit dem 11. Jahr- 
hundert die deutsche Kirche durch die Verkündigung von Gottesfrieden (treuga Dei), kraft deren 
zu bestimmten Zeiten, insbesondere an gewissen Wochentagen jede Fehde ruhen sollte, gewisse 
Personen und Orte dauernden Frieden haben sollten. Die Vorschriften der Gottesfrieden wurden 
von der Landfriedensgesetzgebung ausgenommen. Friedrich I. sprach in seinen älteren Land- 
friedensgesetzen ein absolutes Verbot der Fehde aus. Es erwies sich aber als unausführbar. 
Die jüngere Gesetzgebung begnügte sich daher, die Fehdeübung an gewisse Voraussetzungen 
zu binden. Noch Friedrich I. knüpfte sie an die Bedingung, daß die Fehde rechtzeitig durch
	        
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