128 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
Die in der fränkischen Zeit dem Königsgerichte vorbehaltenen Beweismittel des In-
quisitionsbeweises und des Gerichtszeugnisses haben ihre exzeptionelle Stellung verloren und
sind auch außerhalb des Königsgerichtes in Gebrauch. Der Inquisitionsbeweis findet sich in
Sachsen als Befragung der Umsassen, in Süddeutschland als Kundschaft, Sage ehrbarer Kund-
schaft bei Besitzstandfragen, außerdem kommt er vor zur Feststellung des geltenden Rechtes
durch Aufnahme von Weistümern. Bei der Landfrage über gemeinschädliche Verbrecher wird
er in Süddeutschland als Schuldbeweis verwendet. Das Gerichtszeugnis erscheint in zwei
Hauptformen, nämlich als eigentliches Dingzeugnis (so nach dem Sachsenspiegel), welches das
Gericht als solches, repräsentiert durch Richter und Schöffen, auf Begehren der Partei abgibt,
und als Dingmannenzeugnis (so nach dem Schwabenspiegel), ein Beweis, den die Partei selbst
mit zwei oder mehreren Dingleuten dem Gerichte gegenüber erbringt. In die Beweiskraft
des Gerichtszeugnisses teilen sich die vom Gerichte ausgestellten Gerichtsurkunden oder Gerichts-
briefe, nach Stadtrecht die Eintragungen in die öffentlichen Bücher und vielfach auch die vom
Stadtrat ausgestellten Handfesten oder Stadtbriefe. Mit Rücksicht auf die Unanfechtbarkeit
erringen das Gerichtszeugnis und dessen Beurkundung eine über das Beweisverfahren weit
hinausgreifende Bedeutung. Durch Vermittlung des Scheinprozesses zieht sie das Verkehrs-
leben in seinen Dienst zur Feststellung von Rechtsgeschäften aller Art, so von Eigentumsüber-
tragungen, Satzungen, Rentenbestellungen, Schuldverträgen und Zahlungen. Im weiteren
Verlauf der Entwicklung wird die ursprünglich durch das Beweisbedürfnis verlangte Gericht-
lichkeit und amtliche Beurkundung des Rechtsgeschäftes zu einer privatrechtlich ausgezeichneten
oder schlechthin notwendigen Form. So trieb denn das Privatrecht, und zwar zunächst das
städtische Privatrecht, aus dieser prozessualischen Wurzel eine Reihe von praktisch höchst be-
deutsamen Institutionen des Sachenrechtes und des Vertragsrechtes hervor.
Bei der Einteilung der Klagen sieht das deutsche Recht nicht, wie das römische, auf den
Rechtsgrund, sondern auf den Klagezweck. Sie scheiden sich daher nach dem Gegenstande, auf
den das Begehren des Klägers gerichtet ist, in peinliche, wenn dieser auf peinliche Bestrafung
des Beklagten dringt, und in bürgerliche, wenn dies nicht der Fall ist. Eine Zwitterstellung
haben die vermischten Klagen, bei denen während der Verhandlung eine Anderung des ur-
sprünglich peinlichen oder bürgerlichen Klagzweckes eintritt.
Von den bürgerlichen Klagen gliederten sich die vermögensrechtlichen Klagen
nach dem Objekte als Klagen um Schuld, um fahrende Habe und um Liegenschaften. Der
Kläger konnte sein Begehren schlechthin stellen, ohne einen Rechtsgrund anzugeben; dann lag
eine schlichte Klage vor, deren sich der Beklagte mit seinem Eide entredete. Wollte es der Kläger
nicht darauf ankommen lassen, so mußte er seine Klage motivieren, d. h. bestimmte positive
Rechtsgründe angeben, aus welchen die dem Klagbegehren entsprechende Verpflichtung des
Beklagten folgte. Gegen die Begründung der Klage konnte der Beklagte auch seinerseits Tat-
sachen anführen, kraft deren er die behauptete Verpflichtung bestritt. Die für die Entscheidung
des Prozesses maßgebende Tatsache wurde dann durch Beweisurteil nach bestimmten Regeln
zum Beweise gestellt, und zwar mit prinzipieller Begünstigung des Beklagten und mit Rücksicht
auf die größere oder geringere Beweiskraft der beiderseits angebotenen Beweismittel. Eine
Eigentümlichkeit des sächsischen Rechtsganges war es, daß er bei Klagen um Schuld mit Aus-
nahme des Gerichtszeugnisses jeden Zeugenbeweis gegen den Schuldner ausschloß. — Die
Zwangsvollstreckung zerfiel in zwei scharf geschiedene Akte, von welchem der erste durch Pfändung
der Fahrnis, durch Fronung des Grundstücks, die Sicherstellung, der zweite die Befriedigung
des Gläubigers herbeiführen sollte. Die Fronung schloß sich an die fränkische missio in bannum
an und hatte die Bedeutung eines Veräußerungsverbotes und der Ausweisung des Schuldners
aus dem Besitz. Die Befriedigung des Gläubigers erfolgte in der Weise, daß ihm die als Pfand
genommene Fahrhabe „geweldigt“, das gefronte Grundstück (durch Anleite, Insatz) übereignet
oder (im Wege der Veräußerung) versilbert wurde.
Peinliche Klagen mußten, gewisse Fälle ausgenommen, mit Gerüfte, mit Zeter-
geschrei erhoben werden. Die wirksamste Kriminalklage war die auf Grund handhafter Tat.
Zum Begriff der handhaften Tat gehörte, daß aus Anlaß der Tat das Gerüfte geschrien und
der Täter auf der Tat oder auf der Flucht der Tat ergriffen wurde. Die Klage um handhafte
Tat mußte vor übernächtiger Tat und mit leiblicher Beweisung des Faktums erhoben werden.