Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

138 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
widrige Vorenthaltung zugefügte Unrecht darstellen. In der Zeit der Rechtsbücher galten 
Geldschulden für Bringschulden. Der Gläubiger mußte in seinem Hause des Geldes warten, 
das der Schuldner auch ohne Mahnung zur Erfüllungszeit darzubringen verpflichtet war. Die 
gesetzlichen Verzugsbußen sind verschwunden, ein Schadenersatz wegen Verzugs konnte nur 
noch beansprucht werden, wenn und soweit er im Schuldvertrag ausdrücklich verabredet worden 
war. Mit Rückficht auf diese Beschränkung der Schadenersatzpflicht wurde es üblich, in die Schuld- 
briefe ein besonderes Schadengedinge aufzunehmen, in welchem der Schuldner sich verpflichtete 
den etwaigen Verzugsschaden zu ersetzen. Um sich die Liquidierung des Schadens zu erleichtern, 
ließ der Gläubiger den Schuldner nicht selten versprechen, se credere de damnis et expensis 
simplici verbo creditoris, eine im jüngeren Mittelalter weit verbreitete Klausel der Schuldurkunden, 
durch die der Schuldner dem Gläubiger das Recht einräumte, die Höhe des Schadens ohne Eid 
und ohne Zeugenbeweis durch sein schlichtes Wort bestimmen zu dürfen. 
Die Schuldurkunde hatte nicht bloß für die Eingehung von Verbindlichkeiten, sondern 
auch für die Ausübung der Forderung privatrechtliche Bedeutung. Wie der Gläubiger die 
wadia gegen Zahlung der Schuld zurückzugeben hatte, so brauchte der Schuldner auch nur gegen 
Rückgabe der von ihm ausgestellten cautio zu zahlen. Den cautiones der fränkischen Zeit war 
es eigentümlich, daß die Verpflichtung zur Rückgabe der cautio ausdrücklich in den Kontext der 
Schuldurkunde ausgenommen wurde. War deren Zurückerstattung unmöglich geworden, so 
stellte der Gläubiger einen Todbrief, einen Mortifikationsschein, epistola evacuatoria, aus, 
worin er die Schuld für erloschen und die cautio, die er nicht zur Hand habe, für kraftlos erklärte. 
Doch kam es vor, daß in der cautio die Zahlung mit ausdrücklichem Ausschluß jeder epistola 
evacuatoria nur gegen Rückgabe der cautio versprochen wurde. Bei der Rückgabe pflegte die 
cautio durch Zerschneiden oder durch einen schriftlichen Vermerk (cassatura) entkräftet zu werden. 
Als die Geldschuld im allgemeinen den Charakter der Mahn= und Holschuld verloren hatte, er- 
schienen als ein besonderer Typus von Schuldurkunden die Präsentationspapiere, nämlich 
diejenigen, bei welchen kraft besonderer Klausel der Schuldner nur gegen Aushändigung des 
Papiers zu zahlen verpflichtet war, die Schuld den Charakter einer Hol-, nicht einer Bring- 
schuld hatte und der Verzug des Schuldners nicht durch den Verfallstag an sich, sondern durch 
die Präsentation am Verfallstag bedingt wurde. 
Unzulässig war nach älterem deutschen Rechte die Übertragung der Forderung aus Schuld- 
verträgen ohne den Willen des Schuldners. Der Klage des Dritten, dem die Forderung über- 
tragen worden, hätte der Schuldner einfach antworten können, er sei ihm nicht schuldig zu leisten, 
denn er habe nicht versprochen ihm zu leisten. An die Stelle des ursprünglichen Gläubigers 
konnte ein anderer gesetzt werden durch „Verwandlung des Gelübdes“, indem jener den Schuldner 
veranlaßte, die Schuld dem neuen Gläubiger zu geloben. Als die gerichtliche Stellvertretung, 
sei es nun in beschränktem Maße oder allgemein gestattet wurde, benutzte man die Erteilung 
der Prozeßvollmacht, um die Schuld ohne Zustimmung des Schuldners einem Dritten zuzu- 
wenden. Diese Zuwendung, „Beweisung der Schuld“, erfolgte im Gewande der Vollmacht. 
Der Dritte klagte auf Grund der Vollmacht; starb er, so ging seine Vollmacht nicht auf seine 
Erben über, Grundsätze, die sich im englischen Rechte bis 1873 erhalten haben. 
Schon das Rechtsleben der fränkischen Zeit kennt die Zulässigkeit von Verträgen, in denen 
der eine Kontrahent dem anderen verspricht, daß er einem Dritten, oder daß er unter gewissen 
Voraussetzungen einem Dritten leisten werde. Der Dritte hatte als Destinatär der Leistung 
das Recht, die Forderung im eigenen Namen geltend zu machen, ohne daß er das innere Ver- 
hältnis, das zwischen ihm und dem Promissar bestand, aufzudecken brauchte. Solange die gericht- 
liche Stellvertretung versagt oder doch beschränkt war, solange ferner die freie Ubertragbarkeit 
der Forderung aus dem Schuldvertrag ausgeschlossen war, bot es nach beiden Seiten hin einen 
naheliegenden Ausweg dar, wenn der Gläubiger sich bei Abschluß des Vertrags vom Schuldner 
versprechen ließ, daß dieser ihm oder einem Dritten leisten werde. Der Dritte konnte von vorn- 
herein namentlich benannt werden, es konnte aber auch dem Gläubiger überlassen werden, ihn 
nachträglich zu bestimmen. Die wichtigste Anwendung des Versprechens, einem Dritten zu 
leisten, enthalten die Orderpapiere und die Inhaberpapiere. 
Das Orderpapier reicht bis in die Anfänge des germanisch-romanischen Urkundenwesens 
zurück. Schon in Formeln des 7. Jahrhunderts findet sich die Exaktionsklausel, nämlich eine
	        
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