Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

154 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
adel zerfiel in einen hohen und niederen, von denen jener neben der Reichsunmittelbarkeit die 
erbliche Reichsstandschaft voraussetzte. Nur in der hochadligen Geschlechtern hat sich der 
agnatische Sippeverband erhalten und zu körperschaftlicher Verfassung durchgebildet. Nur 
sie haben ihr ständisches Sonderrecht dauernd bewahrt, das durch Hausgesetze, Familienobservanz 
und durch das sogenannte Privatfürstenrecht bestimmt wird. Seit der Auflösung des Reiches 
zählen zum hohen Adel die souveränen und die mediatisierten (standesherrlichen) Häuser, d. h. 
jene, die 1806 die erbliche Reichsstandschaft besessen hatten. Die Reichsbauern sind mit den 
Reichsdörfern noch kurz vor dem Untergang des Reiches verschwunden. 
In den Territorien wurde die Unterscheidung eines Adels-, Bürger- und Bauernstandes, 
wie ihn das Mittelalter überliefert hatte, nach vorübergehender Schärfung der Gegensätze, 
schließlich im wesentlichen verwischt, um dem Begriffe eines allgemeinen Staatsbürgertums 
Platz zu machen, wie es die Städte früher in kleinerem Kreise ausgebildet hatten. Der land- 
saässige Adel hörte mit der Einführung der stehenden Heere auf, ein Berufsstand zu sein. Durch 
die Adelsverleihungen wurde ein Briefadel geschaffen, dem es häufig an dem Grundbesitze 
gebrach, der sonst eine Voraussetzung des höheren Standes bildete. Nach dem Dreißigjährigen 
Krieg erscheint die oft betätigte Widerstandskraft des Adels gegen die Landesherrn allenthalben 
als gebrochen. Seitdem erhielt er sich nur durch Anlehnen an die Höfe, durch den Eintritt in 
das rechtsgelehrte Beamtentum und in die Offizierstellen der stehenden Heere als ein Faktor 
von politischer Bedeutung. Doch hat es der Adel des östlichen Deutschlands verstanden, durch 
die Ausbildung der Gutsherrschaft seine wirtschaftliche und seine soziale Stellung auf lange 
Zeit hinaus zu steigern. 
Seit dem Ausgang des Mittelalters verschlimmerte sich die Lage des Bauernstandes, 
eine Veränderung, die zuerst im Westen Deutschlands sichtbar ward und dann nach Osten vor- 
rückte. Die öffentlichrechtlichen und die privatrechtlichen Lasten der Bauern wurden willkürlich 
gesteigert, während die Preise der Bodenprodukte sanken. Der Begriff der Leibeigenschaft 
wurde auf Halbfreie ausgedehnt, der erbliche bäuerliche Besitzstand nicht selten in prekaristischen 
verwandelt, die Autonomie der Bauern in Sachen der gemeinen Mark beschränkt oder beseitigt, 
seit der Obermärker Grundherr des Markbodens geworden. Die Versuche der Bauern, sich 
gegen die Verschlechterung ihrer Lage selbst zu helfen, führten im Westen und Süden zu Bauern- 
aufständen, die durch die Fürsten gewaltsam niedergeschlagen wurden. Im Osten kam es zur 
Entstehung der Erbuntertänigkeit und zur Ausbildung einer neuen Art von bäuerlicher Leib- 
eigenschaft. 
Für diese Periode haben wir nämlich zwei Arten der Leibeigenschaft zu unterscheiden, 
die ältere westdeutsche und die jüngere ostdeutsche Leibeigenschaft. Die westdeutsche Leib- 
eigenschaft, in Westfalen Eigenbehörigkeit, im Fürstentum Hildesheim Halseigenschaft genannt, 
zeigt sich in milderen und härteren Formen, die auf Merkmale der alten Knechtschaft oder der 
Halbfreiheit zurückführen. Sie ist die persönliche Zugehörigkeit zu einem Leibherrn, die sich 
in der Entrichtung eines Leibzinses, des Sterbefalls, einer Heiratssteuer, in Dienstpflicht und 
Gesindezwang und in dem Mangel der Freizügigkeit äußert. Hier und da fehlt eines dieser 
Merkmale oder treten noch andere hinzu. Verhältnismäßig hart war die Leibeigenschaft in 
Bayern, am härtesten in Teilen Westfalens, wie denn z. B. noch nach der Eigentumsordnung 
für Minden und Ravensberg von 1741 die Hälfte des Nachlasses an den Herrn fiel und dieser 
die Eigenbehörigen verkaufen konnte. 
Die ostdeutsche Leibeigenschaft verdankt ihre Entstehung dem Bedürfnis der Grundherren, 
sich für ihre landwirtschaftlichen Großbetriebe in den Bauern die nötigen Arbeitskräfte zu sichern. 
Noch im 16. Jahrhundert war der Bauer des Ostens persönlich frei. Doch verlangte man bereits, 
daß er, wenn er den Hof verlassen wollte, dem Herrn einen Ersatzmann stelle, und daß die Kinder, 
die sich als Gesinde vermieten wollten, sich zu solchem Dienst zunächst dem Herrn anboten. Diese 
Pflichten steigerte man dahin, daß der Bauer, um den Hof zu verlassen, stets der Einwilligung 
des Herrn bedürfe und die Kinder einem unbedingten Gesindezwang unterworfen seien. Die 
Fronden der Bauern, von Hause aus mäßig, wurden mit dem steigenden Bedürfnis des Herrn, 
der für sic Gerichtsherr und Obrigkeit geworden, mehr und mehr erhöht. Für Heiraten und 
für Erlernung eines Handwerks bedurfte es der Genehmigung des Herrn. In dieser Aus- 
gestaltung wurde das Verhältnis nachmals als Erbuntertänigkeit bezeichnet, und kennt es noch
	        
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