Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Erster Band. (1)

164 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts. 
das bot ja die bequemste Form, um die Reichssachen, solange sie nicht völlig bedeutungslos ge- 
worden waren, im erbländischen Interesse zu verwalten. Als Maximilian das österreichische 
Amterwesen reorganisierte, indem er als Verwaltungs- und Justizbehörde den Hofrat und als 
Finanzbehörde die Hofkammer schuf, wurden diese sowohl für das Reich als auch für die Erb— 
lande bestellt. Gleiche Duplizität besaß seit 1502 die Hofkanzlei und später der geheime Rat. 
Von den alten Erzämtern des Reiches gewann das des Erzkanzlers erhöhte Bedeutung. 
Als solcher erneuerte der Erzbischof von Mainz seit Friedrich III. ältere Ansprüche auf Er— 
nennung des Kanzlers. Er ließ sich 1486 das Recht verbriefen, die Kanzlei, wenn er am Hofe 
anwesend sei, selbst zu leiten, während sonst die Urkunden in seinem Namen subskribiert werden 
sollten. Von da ab kämpften um die Hofkanzlei Kaiser und Erzkanzler einen stillen oder offenen 
Kampf. Der Mainzer setzte mehrfach die wiederholte Verbriefung seiner Rechte durch. Da 
er sich als den eigentlichen Kanzler betrachtete, mußte sich der Vorsteher der Hofkanzlei seit 1519 
mit dem Titel Vizekanzler begnügen. Die Reichshofkanzleiordnung Ferdinands I. von 1559 
schrieb vor, daß der Erzkanzler mit Vorwissen und Bewilligung des Kaisers den Vizekanzler 
und die Kanzleibeamten ernennen solle. Allein die Abhängigkeit der Hofkanzlei vom Erzkanzler 
stand nur auf dem Papier; in Wirklichkeit blieb das Amt des Vizekanzlers ein kaiserliches Hof- 
amt. Der Bizekanzler war zugleich Mitglied des geheimen Rates und des Reichshofrates. 
Infolge der Errichtung einer besonderen österreichischen Hofkanzlei wurden 1620 die Reichs- 
sachen und die österreichischen Kanzleiangelegenheiten endgültig getrennt. Seit 1660 übte 
dann der Erzkanzler das Recht, den Reichsvizekanzler zu ernennen, stetig und unangefochten 
aus, während der Kaiser sich auf die Zustimmung (Rekommandation) beschränkte. Aber von 
nun ab sank auch die politische Bedeutung des Amtes, weil es dem Kaiser nicht genehm sein 
konnte, daß der von Mainz abhängige Vizekanzler Wissenschaft erhalte um die Arkana des kaiser- 
lichen Hauses. Das ehrenvolle und einträgliche Vizekanzleramt besaß daher fast nur noch 
repräsentativen Charakter. 
Außerhalb des alten Reichshofgerichtes begann der König, sei es nun als Schiedsrichter 
oder auf einseitiges Anrufen einer Partei oder aus eigener Initiative, eine persönliche Recht- 
sprechung auszuüben, für die er sich des Beirats seiner Räte bediente. Aus dieser Jurisdiktion, 
die im Spätmittelalter stark zunahm, wuchs ein besonderes Gericht, das königliche Kammer- 
gericht, heraus. Zuerst wird es 1415 genannt (iudicium camerae), es gewann dann festere 
Organisation und erhielt 1471 eine Kammergerichtsordnung. Den Vorsitz hatte der König 
oder ein Kammerrichter, als welcher ein ad hoc ernannter Vertreter des Königs bestellt war. 
Als Beisitzer fungierten geschworene und besoldete Räte des Königs. Neben dem königlichen 
Kammergerichte verkümmerte das Reichshofgericht im früheren Sinne des Wortes, zum Teil 
weil der König massenhafte Exemtionen von dessen Gerichtsbarkeit erteilt hatte. Im Jahre 
1450 starb es ab, ohne ausdrücklich aufgehoben zu werden. Das Kammergericht, seinem Ur- 
sprung nach die Verkörperung der vom König in Person geübten Jurisdiktion, hatte keinen 
ständigen Sitz, sondern folgte dem König von Ort zu Ort. Seit seine festere Organisation die 
Beziehung zur Person des Königs gelockert hatte, wurde es von Friedrich III. vernachlässigt. 
Das veranlaßte Beschwerden der Reichsstände, die schließlich die Loslösung des Kammergerichts 
vom Hofe des Königs erzwangen. Maximilian I. mußte sich 1495 auf dem Wormser Reichstag 
zur Errichtung des Reichskammergerichtes verstehen, eines ständigen obersten Reichsgerichtes, 
dessen Besetzung in der Hauptsache den Reichsständen zustand. Der Kaiser ernannte den Kammer- 
richter, später hatte er auch die Senatspräsidenten zu ernennen. Die Zahl der Beisitzer, die von 
den Reichsständen bei der Errichtung dem König, seit 1507 dem Gerichte selbst präsentiert wurden, 
betrug ursprünglich sechzehn. Nachmals wurde sie erhöht. Nach dem Westfälischen Frieden 
sollten ihrer fünfzig sein, die Hälfte katholisch, die Hälfte evangelisch. Allein diese Zahl wurde 
niemals erreicht und 1720 auf fünfundzwanzig festgesetzt. Das Gericht begann seine Tätig- 
keit zu Frankfurt a. M., kam dann nach mehrfachem Ortswechsel 1527 nach Speier; von da 
flüchtete es 1689 anläßlich des französischen Raubeinfalls und fand 1693 Aufnahme in Wetzlar, 
wo es bis zur Auflösung des Reiches verblieb. Zur Erhaltung des Reichskammergerichtes 
wurde zwar eine ordentliche Reichssteuer eingeführt, die sogenannte Kammerzieler, allein sie 
liefen so unregelmäßig ein, daß es an Geld fehlte, um die ausreichende Zahl von Assessoren zu 
besolden. Der Mangel an Arbeitskräften rächte sich durch die sprichwörtlich gewordene Un-
	        
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