1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 165
sterblichkeit der am Kammergerichte schwebenden Prozesse. Das Reichskammergericht urteilte
über Landfriedensbrüche; ferner war es für die Reichsunmittelbaren erste Instanz; zweite,
sofern sie das Recht auf Austräge hatten, d. h. auf Schiedsgerichte, deren Ursprung in die Zeit
vor Gründung des Reichskammergerichtes zurückgeht. Für die Untertanen der Landesherren,
die nicht ein privilegium de non appellando hatten, fungierte es als Appellationsgericht.
Die Einbuße, welche die oberste Gerichtsgewalt des Kaisers durch die Schöpfung des
Reichskammergerichtes erlitten hatte, wurde zum Teile wieder wettgemacht, indem als Organ
der kaiserlichen Gerichtsbarkeit der Reichshofrat ausgebildet wurde. Gemäß einer Hofordnung
Maximilians I. vom 20. Dezember 1497 entstand 1498 unter dem Namen Hofrat ein geschlossenes
Kollegium als Regierungs= und Justizbehörde, die sowohl in Reichssachen als auch in erb-
ländischen zuständig war. Wie so manche Reformen Maximilians I., gelangte auch diese nicht
zu dauernder Wirksamkeit. Erst Ferdinand I. führte eine Reorganisation des Hofrates durch,
der spätestens 1527 seine Tätigkeit begann. Vorsitzender war zunächst der Hofmarschall. Seit
1559 wurde vom Kaiser ein besonderer Hofratspräsident ernannt. Außerdem saßen im Hof-
rate die Inhaber der obersten Hofämter und eine Anzahl von Räten aus den Erblanden und
aus dem Reiche, die der Kaiser ernannte. Nachmals wurden dem Hofrate die erbländischen
Sachen entzogen, so daß er sich zum reinen Reichshofrate gestaltete. Wann dies geschah, ist
zurzeit noch nicht genau festgestellt. Vermutlich ist die endgültige Sonderung erst in den Jahren
nach dem Westfälischen Frieden eingetreten. Der Reichshofrat hatte seinen Sitz am kaiser-
lichen Hoflager. Seine Tätigkeit ruhte, solange der Thron ledig stand. Er war Gerichts- und
Regierungskollegium. Er war ausschließlich kompetent in Kriminalsachen der Reichsunmittel-
baren, in Reichslehnssachen, in Streitigkeiten über kaiserliche Privilegien und in Sachen der
kaiserlichen Reservatrechte. Im übrigen konkurrierte seine Gerichtsbarkeit mit der des Reichs-
kammergerichtes.
Als eine Auslese, „Ausbruch“, aus dem Hofrat entstand in Osterreich 1527 oder etwas
früher das Kollegium des „geheimen Rates“, das die Aufgabe hatte, den Herrscher in allen
„hochschweren und geheimen Sachen", namentlich in auswärtigen Angelegenheiten, zu be-
raten. Es wurde in erbländischen und in Reichssachen gehört. Seine Kompetenz bestimmte
der Wille des Herrschers.
*# 8. Reichsregiment und Reichskreise. Schon im 15. Jahrhundert waren verschieden-
artige Vorschläge einer Reform der Reichsverfassung aufgetaucht, die sich die Herstellung kräftiger
Exekutivorgane für Aufrechthaltung des Landfriedens zum Ziele setzten. Seit Maximilian I.
kreuzen sich in den Reformbestrebungen zwei politische Richtungen, eine kaiserliche und eine
ständische. Die Reichsstände trachteten unter der Führung Bertholds von Henneberg, Erz-
bischofs von Mainz, dem Reiche eine oligarchische Zentralgewalt zu verschaffen, während
Maximilian die Umgestaltung des Reiches den Reformen einzugliedern strebte, durch die er
in seinen österreichischen Erblanden die Grundlagen des modernen Beamtenstaates schuf. Die
Gegensätze führten zu Kompromissen, aus denen das Reichsregiment als vorübergehende, die
Kreisverfassung als dauernde Einrichtung hervorging.
Auf dem Wormser Reichstage von 1495 begehrten die Reichsstände die Bildung eines
ständischen Reichsrates von 17 Mitgliedern, dem die unmittelbare Verwaltung der Reichs-
sachen zu übertragen sei. Das Projekt scheiterte an dem Widerspruch des Königs und wurde
zunächst ersetzt durch den Verlegenheitsbeschluß, alljährlich einen Reichstag abzuhalten, der
für Aufrechthaltung von Frieden und Ordnung im Reiche sorgen möge. Da dieses Auskunfts-
mittel sich als verfehlt erwies, so wurde auf dem Augsburger Reichstage von 1500 ein ständiges
Reichsregiment (Reichsrat und Regiment) mit dem Sitze in Nürnberg errichtet, das aus dem
König oder dessen Stellvertreter und aus 20 Räten (Regenten) bestand, unter welchen je einer
von sechs damals geschaffenen Kreisen zu wählen war. Aber schon 1502 bewirkte Maximilian
die Auflösung des Regimentes, das die königliche Gewalt völlig aufgesogen hätte, wenn anders
es mit seiner Zuständigkeit Ernst machen wollte. Einem Versprechen gemäß, das er in der
Wahlkapitulation abgegeben hatte, verstand sich Karl V. 1521 dazu, ein neues Reichsregiment
nach dem Muster des alten aufzurichten, doch sollte seine Wirksamkeit auf die Dauer der Ab-
wesenheit des Königs im Reiche beschränkt sein. Als 1530 Kaiser Karl V. nach Deutschland