2. O. v. Gierke, Grundzüge des deutschen Privatrechts. 185
1. Deutsche. Die außerhalb des Deutschen Reichs geltenden deutschen Rechte sind
für die Rechtsgeschichte überhaupt Bestandteile, dagegen für die Dogmatik nur Hilfsmittel
des deutschen Privatrechts.
So seit 1866 oder doch 1900 das Osterreichische Privatrecht, das auf dem Gesetz-
buch von 1811 und dessen Fortbildung beruht. Eine Revision des Gesetzbuches ist im Gange.
So das Schweizerische Recht, das, weil in der Schweiz keine oder nur eine be-
schränkte Rezeption stattfand, vielfach rein germanische Züge bewahrte. In einzelnen Kan-
tonen (Uri, Schwyz, Unterwalden, Appenzell, aber auch Basel, St. Gallen, Thurgau) galt bis
in die neueste Zeit das ältere deutsche Recht ohne eigentliche Kodifikation fort. In anderen er-
gingen moderne Gesetzbücher, die sich in der welschen Schweiz an das französische, in Bern,
Luzern, Solothurn und Aargau an das österreichische Vorbild anlehnten, während in Zürich
ein von Bluntschli ausgearbeitetes selbständiges Gesetzbuch stark deutschrechtlicher Färbung
(1853/56, revidiert 1887) eingeführt und in Schaffhausen, Zug und Glarus dieses Gesetzbuch nach-
gebildet, in Graubünden ein verwandtes Gesetzbuch (von Planta)g geschaffen wurde. Ein
einheitliches Bundesprivatrecht wurde für das Verkehrsrecht durch das Bundesgesetz über das
Obligationenrecht vom 14. Juni 1881 geschaffen, das unterm 30. März 1911 eine neue Fassung
erhalten hat. Das übrige Privatrecht wurde durch das am 1. Januar 1912 in Kraft getretene
Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 vereinheitlicht. Dieses Gesetzbuch, das Werk von
E. Huber, bringt eine Fülle deutscher Rechtsgedanken in moderner Ausgestaltung und in volks-
tümlicher Fassung zum Ausdruck.
So endlich das Baltische Recht in den russischen Ostseeprovinzen, dessen Zusammen-
stellung durch Bunge als Liv-, Esth- und Kurländisches Privatrecht im Jahre 1864 Gesetzes-
kraft erhalten hat.
2. Andere germanische. Das früh vom deutschen Recht abgezweigte nieder-
ländische Recht ist in neuerer Zeit stark vom französischen Recht überwältigt. Die haupt-
sächliche Bedeutung der skandinavischen Rechte für das deutsche Privatrecht liegt in den Auf-
schlüssen über die gemeinsame urgermanische Grundlage. Als ein zum größten Teil unkodi-
fiziertes Recht, das aus germanischer Wurzel unter bloß formaler Einwirkung der fremden
Rechte zu einem modernen Weltrecht emporgewachsen ist, bietet das englisch-amerikanische
Recht für alle deutschrechtlichen Forschungen ein hohes Interesse.
3. Romanische. Die romanischen Rechte haben sämtlich aus den germanischen
Stammesrechten, unter denen das langobardische in Italien bestimmenden Einfluß auf die
gesamte europäische Jurisprudenz gewann, das fränkische in Frankreich schöpferisch fortwirkte,
eine Fülle von gedanklichen und stofflichen Elementen ausgenommen. Germanisches Recht
durchzieht insbesondere, wie schon erwähnt ist, auch die französische Kodifikation, die bei den
übrigen romanischen Völkern und darüber hinaus teils rezipiert, teils den neueren Gesetz-
büchern zugrunde gelegt ist.
4. Osteuropäische. Schon seit dem Mittelalter drang das deutsche Recht als be-
fruchtendes Kulturelement nach Osten vor. Auch heute zeigen die slavischen Rechte mannig-
sache Spuren seines Einflusses. Ein Entwurf eines ungarischen allgemeinen Bürgerlichen
Gesetzbuches schließt sich vielfach nahe an das deutsche BGB. an.
Literatur: 1. Osterreichisches Recht: Kommentare zum Gesetzbuch v. Zeiller;
. Kirchstetter;v. Pfaffu. Hofman nlnebst Exkursen, unvollendet). Systeme v. Unger,
d. I, II u. VI, 1850, 59, 64; v. J. Krainz, hrsg. v. Pfaff, 2 Bde., 4. Aufl. v. Ehren-
zweig, 1905/07. Festschrift zur Hundertjahrfeier des A. B.G. B., 1911. — 2. Schweizer R.:
E. Huber, System u. Geschichte des schweizer. Privatrechts, 4 Bde., 1886/94. Komm. zum Zürcher
G. B. v. Bluntschli u. v. Schneider. Komm. zum Schweiz. BGB. von Gmür; von
Egger usw. — 3. Baltisches R.: Bunge, Das liv= u. esthländ. P.K., 2. Aufl. 1874/48;
Das kurländ. P.K., 1851. C. Erdmann, Vostem des Privatrechts der Ostseeprovinzen Liv-,
S- u. Kurland, 4 Bde., 1889/94. — 4. Niederländisches R.: Fockema - Andrese,
et Oud Nederlandsk burgerlyk recht, 1906. — 5. Lit. des englischen Rechts und der roma-
nischen Rechte bei den besonderen Darstellungen, die diesen Rechten gewidmet sind.